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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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nämlich absolut zensurwidrig. Es wäre auch kein Schutz für mich, wenn man mich mit einer Wämpe und mit angesaugten Rüpsen versähe, da ich mich dieser Tarnung nicht bedienen könne. Es gebe für mich also keinen besseren Ausweg, als bei ihnen, den Destruktianermönchen, zu bleiben, und zwar als teurer und lieber Gast. Nach Maßgabe ihrer leider bescheidenen Möglichkeiten würden sie sich bemühen, mir meine Zwangslage zu versüßen.
      Das sagte mir nicht gerade zu, aber der Prior erweckte in mir durch seine Würde, seine Ruhe und durch die sachliche Sprache Vertrauen, obwohl ich mich nicht an seine verhüllte Gestalt gewöhnen konnte; er war gekleidet wie alle anderen Mönche. Ich wagte es nicht, ihn sogleich mit Fragen zu bestürmen, also unter hielten wir uns über das Wetter auf der Erde und auf Dychthonien, denn er wußte bereits von mir, woher ich gekommen war, dann über die Mühsal der kosmischen Reisen, und schließlich sagte er mir, er vermute, daß ich hinsichtlich der lokalen Angelegenheiten eine gewisse Neugier verspüre, aber damit habe es keine Eile, da ich mich ohnedies vor den Organen der Zensur verbergen müsse. Ich würde, als ein geehrter Gast, eine eigene Zelle erhalten, würde einen jungen Mönchsbruder zu meiner Verfügung haben, der angewiesen sei, mir mit Rat und Hilfe beizustehen; überdies stünde mir die ganze Ordensbibliothek offen. Und da sie unzählige Prohibita und Raritäten enthalte, die sich auf schwarzen Listen befänden, würde ich aus dem Zufall, der mich in die Katakomben geführt habe, vielleicht mehr Nutzen ziehen als woanders.
      Ich dachte, daß wir uns nunmehr trennen würden, denn der Prior war aufgestanden, aber er fragte mich nach einem gewissen Zögern, ob ich ihm gestatte, mein »Wesen« zu berühren. Tief seufzend, als empfände er unsagbares Leid oder unfaßbare Sehnsucht, berührte er mit seinen harten Fingern in Handschuhen meine Nase, meine Stirn, meine Wangen, und als er mir über das Haar strich (ich hatte den Eindruck, daß die Faust dieses Geistlichen aus Eisen sei), schluchzte er sogar leise. Diese Symptome von unterdrückter Rührung betörten mich vollends. Ich wußte nicht, wonach ich zuerst fragen sollte, nach den verwilderten Möbeln oder nach dem vielfüßigen Zentaurus oder auch nach der Zensur, aber ich zwang mich zu vernünftiger Geduld und schwieg. Der Prior versicherte mir, daß die Ordensbrüder die Tarnung der Rakete auf sich nehmen würden, und zwar wolle man eine an Elephantiasis erkrankte Orgel vortäuschen. Danach schieden wir, Höflichkeitsfloskeln tauschend, voneinander.
      Die Zelle, die mir zugewiesen wurde, war nicht groß, aber behaglich, das Lager jedoch verteufelt hart. Erst nahm ich an, die Destruktianermönche hätten eine solche strenge Regel, aber dann erwies es sich, daß man mir das Bett aus reiner Zerstreutheit nicht gepolstert hatte. Vorerst verspürte ich keinen Hunger, abgesehen von dem nach Information. Der junge Bruder, der mir beigegeben war, brachte mir einen ganzen Armvoll historischer und philosophischer Werke; ich vertiefte mich darin bis in die späte Nacht hinein. Zunächst störte mich bei der Lektüre, daß sich die Lampe einmal näherte, dann wieder in die andere Ecke des Raumes verzog. Später erst erfuhr ich, daß sie ab und zu ein Bedürfnis verrichten ging und daß man ihr zuschnalzen müsse, um sie an die vorherige Stelle zurückzubeordern.
      Der junge Mönchsbruder riet mir, die Studien mit dem kurzen, aber instruktiven Werk über die dychthonische Geschichte von Abus Grags zu beginnen, einem offiziellen, aber, wie er sich ausdrückte, »relativ objektiven« Geschichtsschreiber. Ich folgte seinem Rat.
      Noch um das Jahr 2300 glichen die Dychthonen wie Zwillinge den Menschen. Obschon der Fortschritt der Wissenschaft von einer Laizisierung des Lebens begleitet war, hatte dennoch der Duismus, ein Glaube, der auf Dychthonien zwanzig Jahrhunderte lang fast ungeteilt herrschte, auch die weitere Zivilisationsbewegung geprägt. Der Duismus verkündet, daß jedes Leben zwei Tode habe, einen vorderen und einen hinteren, das heißt den vor der Geburt und den nach der Agonie. Die dychthonischen Theologen schlugen vor Verwunderung die Hände zusammen, als sie dann von mir hörten, daß man auf der Erde nicht so dächte und daß es Kirchen gäbe, die sich nur für ein Dasein interessierten, nämlich für das nach dem Tode. Sie konnten nicht begreifen, daß den Menschen zwar der Gedanke, es werde sie

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