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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Kläglich sind diese unvollkommenen Genies, Titanen zwergenhaften Geistes, bei ihrer Geburt durch die Natur verstümmelt, die, in einem ihrer makabren Scherze, ihre Talentlosigkeit durch eine schöpferische Verbissenheit wettzumachen suchte, die eines Leonardo würdig wäre. Alles, was das Leben ihnen zu bieten hat, ist Gleichgültigkeit oder Spott, und alles, was man für sie tun kann, ist, ein oder zwei Stunden lang ein geduldiger Zuhörer und Teilhaber ihrer Monomanie zu sein.
      In jener Schar, die nur die eigene Dummheit vor der Verzweiflung schützt, tauchten vereinzelt andere Menschen auf – ich will sie weder näher bezeichnen noch sie verurteilen, das bleibt euch überlassen. Die erste Gestalt, die mir vor Augen steht, wenn ich davon spreche, ist Professor Corcoran.
      Ich lernte ihn vor neun oder zehn Jahren kennen, auf einer wissenschaftlichen Konferenz. Wir unterhielten uns kaum ein paar Minuten, als er mich plötzlich, ohne jeden Zusammenhang fragte: »Was halten Sie von Geistern?«
      Im ersten Augenblick glaubte ich, das sei ein exzentrischer Scherz, aber mir fiel ein, daß ich von seiner Außergewöhnlichkeit gehört hatte – ich wußte nur nicht mehr, in welchem Sinne, im positiven oder im negativen, deshalb erwiderte ich für alle Fälle: »Zu diesem Gegenstand habe ich keine Meinung.«
      Ohne ein weiteres Wort kehrte er zu dem vorhergehenden Thema zurück. Doch als das Klingelzeichen bereits den Beginn der weiteren Beratungen ankündigte, beugte er sich plötzlich vor – er war bedeutend größer als ich – und sagte: »Tichy, Sie sind mein Mann. Sie haben keine Vorurteile. Möglicherweise irre ich mich, aber ich bin zu einem Risiko bereit. Besuchen Sie mich!« Hier reichte er mir eine Visitenkarte. »Aber rufen Sie mich vorher an, denn auf Klingelzeichen reagiere ich nicht und mache niemandem auf. Übrigens, wie Sie wollen…«
      Noch am selben Abend, bei einem Essen mit Savinelli, dem bekannten Juristen und Spezialisten für kosmisches Recht, fragte ich meinen Begleiter, ob er einen Professor Corcoran kenne.
      »Corcoran!« rief er mit dem ihm eigenen Temperament, angefeuert noch durch die zweite Flasche sizilianischen Weins. »Dieser verrückte Kybernetiker? Was ist denn mit ihm? Ich habe schon eine Ewigkeit nichts mehr von ihm gehört!«
      Ich erwiderte, daß ich nichts Genaueres über ihn wisse, nur sein Name sei mir dann und wann zu Ohren gekommen. Eine solche Antwort dürfte wohl im Sinne Corcorans gewesen sein. Savinelli erzählte mir beim Wein ein paar Klatschgeschichten, die in Umlauf waren. Daraus ging hervor, daß Corcoran als junger Wissenschaftler zu den größten Hoffnungen berechtigte, obwohl er schon damals einen völligen Mangel an Hochachtung für Ältere erkennen ließ, der zuweilen in Arroganz umschlug. Allmählich entwickelte er sich zu einem jener Typen, die daraus, daß sie anderen Leuten ohne Umschweife die Meinung sagen, ebensoviel Genugtuung zu schöpfen scheinen wie aus der Tatsache, daß sie sich auf diese Weise am meisten schaden. Als er bereits seine Professoren und Kollegen tödlich beleidigt hatte und sich vor ihm alle Türen schlossen, kaufte er, durch eine unerwartete Erbschaft zu Reichtum gekommen, irgendein verfallenes Haus außerhalb der Stadt und baute es in ein Laboratorium um. Darin hielt er sich mit seinen Robotern auf, denn nur solche Assistenten und Gehilfen duldete er um sich. Vielleicht erreichte er dort auch etwas, aber die Spalten der wissenschaftlichen Zeitschriften blieben ihm verschlossen. Er kümmerte sich überhaupt nicht darum. Wenn er damals noch Beziehungen zu Menschen knüpfte, dann nur, um sie, sobald er auf etwas vertrauterem Fuße mit ihnen stand, auf äußerst ordinäre Weise und ohne ersichtlichen Grund vor den Kopf zu stoßen und zu beleidigen. Als er endgültig alterte und dieses abscheulichen Spiels müde war, wurde er ein Einsiedler. Ich fragte Savinelli, ob er gehört habe, daß Corcoran an Geister glaube. Der Jurist, der gerade am Weinglas nippte, verschluckte sich fast vor Lachen.
      »Der? An Geister glauben?!« rief er. »Der glaubt ja nicht einmal an Menschen!«
      Ich wollte wissen, wie er das meine. Er meine das ganz wörtlich, erwiderte er. Nach Savinellis Auffassung war Corcoran ein Solipsist – er glaubte nur an die eigene Existenz, alle anderen hielt er für Phantome, Traumvisionen; angeblich sei er deshalb früher sogar mit seinen Nächsten so umgesprungen: Wenn das Leben eine Art Traum ist,

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