Sterntagebücher
herausgestellt hat, eine Katze in den Behälter mit Soda geworfen, das uns den Kohlendioxyd absorbiert. Die arme Katze, sie ist in Sodadikatzat zerfallen.
Eintragung 116 315. Auf meiner Türschwelle fand ich heute einen Säugling männlichen Geschlechts mit einem Kärtchen an den Windeln: »Das ist deins.« Ich weiß von nichts. Etwa ein Zufall? Ich habe für ihn eine Schublade mit alten Akten ausgelegt.
Eintragung 116 316. Im Kosmos verschwinden eine Menge Socken und Taschentücher, außerdem zerfällt die Zeit völlig; beim Frühstück habe ich bemerkt, daß meine Großeltern viel jünger sind als ich. Es gab auch einige Fälle von Onkellyse. Ich beauftragte meinen Vetter, Bilanz zu ziehen – die Hibernatoren wurden geöffnet, und ich habe alle aufgetaut. Viele Tanten sind verschnupft und heiser, sie haben blaue Nasen und geschwollene rote Ohren, einige bekamen Weinkrämpfe. Ich war ratlos. Sonderbar ist, daß sich unter den Auferweckten ein Kalb befindet. Dafür fehlt Tante Mathilde… Sollte Bruno tatsächlich nicht gespaßt haben oder vielmehr – wirklich gespaßt haben?
Eintragung 116 317. Vor dem Flur der Atomkammer ist eine Zelle. Als ich dort saß, kam mir der belustigende Gedanke, daß wir vielleicht gar nicht gestartet seien und uns noch irgendwo auf der Erde befänden. Aber nein – es gab ja keine Schwerkraft. Diese Reflexion beruhigt. Allerdings stellte ich fest, daß ich einen Hammer in den Händen hielt. Vielleicht hieß ich Jeremias? Ich schmiedete eine Stange, und mir wurde eigenartig zumute. Aber daran muß man sich gewöhnen. Paulis Grundsatz, daß eine bestimmte Person nur von einer Persönlichkeit auf einmal eingenommen werden kann, haben wir längst hinter uns gelassen. Nehmen wir zum Beispiel die Elternstafette – eine für uns im Kosmos gewöhn liche Angelegenheit, wenn infolge der ungeheuren Geschwindigkeit mehrere Frauen der Reihe nach das gleiche Kind gebären. Das betrifft auch die Väter. Der unlängst noch so kleine Pyzio hat mich heute, als wir gleichzeitig im Eßzimmer nach der Marmelade langten und mit den Stirnen zusammenstießen, bis an die Decke zurückprallen lassen. Wie doch die Zeit verfliegt, auch wenn sie noch so verworren, ineinander verflochten und sogar verknotet ist!
Eintragung 116 318. Arabeus erzählte mir heute, er habe immer die stille Hoffnung gehegt, daß die Sterne und die Raketen nur eine Seite hätten, die uns zugekehrte, auf der anderen Seite befänden sich nur verstaubte Stellagen und Schnüre. Deshalb sei er zu den Sternen geflogen. Er gestand mir auch, daß einige Frauen in den Wäscheschränken etwas ablegten, nach seiner Meinung nicht nur Wäsche, sondern auch Eier. Das würde – von der Entwicklung her gesehen – auf eine heftige Regression hindeuten. Sicherlich war ihm das ziemlich unbequem, als er so – auf allen vieren – den Kopf zu mir emporreckte. Mich beunruhigt sein jüngerer Bruder. Er steht bereits das achte Jahr bei mir im Vorzimmer mit vorgestreckten Zeigefingern. Sollten das die Anfänge von Katatonie sein? Zuerst rein mechanisch, später aus Gewohnheit hängte ich Mantel und Hut an ihm auf. Nun kann er sich sagen, daß er wenigstens zu etwas nütze ist.
Eintragung 116 319. Es wird immer leerer. Diffraktion, Sublimation, oder gehen infolge des Dopplereffekts alle ins Infrarot über? Ich bin heute im ganzen Mitteldeck umhergelaufen und habe gerufen, aber es hat sich niemand blicken lassen außer Tante Klothilde mit ihrem Strickzeug und dem unvollendeten Fingerhandschuh. Ich ging ins Labor – die Vettern Mitrofan und Alarich ließen Speck aus. Alarich meinte, daß in unserer Lage Wahrsagespiele sicherer seien als die Wilsonkammer. Aber warum hat er, nachdem er mit den Berechnungen fertig war, alles aufgegessen? Ich begreife das nicht, aber ich wagte nicht zu fragen. Uronkel Emmerich ist verlorengegangen.
Eintragung 116 320. Uronkel Emmerich entdeckt. Mit einer Regelmäßigkeit, die einer besseren Sache wert wäre, geht er alle zwei Minuten backbord auf, dann sieht man aus dem oberen Fensterchen, wie er den Zenit erreicht, und steuerbord geht er unter. Er hat sich überhaupt nicht verändert, nicht einmal auf der Umlaufbahn seiner letzten Ruhe! Aber wer hat ihn hinausgestoßen, und wann ist das geschehen? Ein entsetzlicher Gedanke.
Eintragung 116 321. Der Onkel ist so pünktlich, daß man nach seinen Auf- und Untergängen eine Stoppuhr stellen könnte. Und das Sonderbarste – er beginnt die
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