Sterntagebücher
Stunden zu schlagen. Ich vermag das nicht zu begreifen.
Eintragung 116 322. Am niedrigsten Punkt seiner Umlaufbahn bleibt er einfach mit den Beinen am Rumpf des Raumschiffs hängen, so daß die Sohlen oder Absätze über die Nietenköpfe der Panzerung hüpfen. Heute nach dem Frühstück hat er dreizehn Uhr geschlagen – ein Zufall oder ein prophetisches Zeichen? Der Fremde auf dem Meteor hat sich etwas entfernt. Er fliegt noch immer neben uns. Ich habe mich heute an den Schreibtisch gesetzt, um zu arbeiten, da sagt der Stuhl zu mir: »Wie seltsam diese Welt ist!« Ich dachte schon, Onkel Jesaia habe endlich Erfolg gehabt, aber das war nur der Großvater Arabeus. Er versicherte mir, er sei ein Invariant, das heißt einer, dem alles einerlei ist, ich brauchte also nicht aufzustehen. Heute habe ich eine Stunde lang auf der Rampe und auf dem Oberdeck gerufen. Nicht eine Menschenseele. Nur Strickzeug und ein paar Knäuel Garn flogen in der Luft herum und ein paar Spiele Patiencekarten.
Eintragung 116 323. Es gibt eine besondere Methode, sein seelisches Gleichgewicht zu bewahren – man denkt sich verschiedene fiktive Personen aus. Tue ich das vielleicht nicht schon lange in meinem Unterbewußtsein? Aber wie lange schon? Ich sitze auf dem hartnäckig schweigenden Arabeus, habe in der Schublade einen quäkenden Säugling, den ich Ijon getauft habe und den ich mit der Flasche ernähre – und sorge mich, woher ich für ihn eine Frau nehmen soll; noch ist ja Zeit, aber unter diesen Umständen ist alles möglich. So sitze ich und fliege…
Das sind die letzten Worte meines Vaters, die restlichen Seiten des Tagebuchs fehlen. Ich sitze ebenfalls in einem Raumschiff und lese, wie ein anderer, das heißt er, im Raumschiff gesessen hat und geflogen ist. Er saß also und flog, und ich sitze auch und fliege. Wer sitzt folglich und fliegt? Sollte es mich gar nicht geben? Aber ein Logbuch kann sich doch nicht selbst lesen. Also bin ich dennoch, weil ich lese. Aber vielleicht ist das alles nur unterstellt und erdacht? Sonderbare Gedanken… Sagen wir, daß er nicht gesessen hat und geflogen ist, ich aber sitze und fliege, das heißt, ich fliege sitzend. Das ist ganz sicher. Wirklich? Am sichersten ist noch, daß ich von einem lese, der fliegt und sitzt. Was hingegen mein Sitzen und Fliegen betrifft, woher soll ich da die Gewißheit nehmen? Das kleine Zimmer ist ziemlich ärmlich eingerichtet, es ist eher eine Kammer. Wohl im Zwischendeck, aber auf dem Dachboden hatten wir genau so eine. Ich brauche also nur auf die Schwelle zu treten, um mich zu überzeugen, ob das keine Täuschung ist. Aber wenn es eine Täuschung wäre und wenn ich die Fortsetzung dieser Täuschung sähe? Gibt es kein Kriterium? Das ist nicht möglich! Wäre es nämlich so, daß ich nicht flöge und nicht säße, sondern nur von ihm läse, daß er geflogen ist und gesessen hat, wobei er in Wirklichkeit auch nicht geflogen ist, so würde das bedeuten, daß ich in meiner Illusion seine Illusion erkennte, das heißt, daß mir schiene, daß es ihm schien. Oder vielleicht scheint mir das, was ihm schien? Eine Illusion in der Illusion? Nehmen wir einmal an, aber er schrieb doch auch über einen, der rittlings auf einem Meteor dahinflog. Mit dem ist das schon schlimmer. Mir scheint, ihm schien nur, was jener rittlings tat, und wenn es jenem auch nur schien, dann weiß man überhaupt nichts mehr. Der Kopf tut mir weh, und wieder muß ich wie gestern, wie vorgestern an Bischöfe denken und an blaue Nasen, an Augen, die kornblumenblau sind, an die schöne blaue Donau und an lila Kalbfleisch. Weshalb? Und ich weiß, wenn ich um Mitternacht das Raumschiff beschleunige, werde ich an Rührei oder vielmehr an Setzei mit großem Eigelb denken, an Mohrrüben, an Honig und an Tante Marynias Fersen – ebenso wie in der Mitte jeder Nacht… Ach! Ich begreife! Das ist ein Effekt des Gedankenverschiebens, einmal in Richtung Ultraviolett und einmal – durch das Gelb – in Richtung Infrarot, ein psychischer Dopplereffekt also! Sehr wichtig! Das wäre ein Beweis, daß ich fliege! Der Beweis aus der Bewegung, demonstratio ex motu, wie die Scholastiker sagten! Ich fliege also wirklich… Ja. Aber an Eier, Fersen und Bischöfe kann jeder denken. Das ist kein schlüssiger Beweis, sondern nur eine Annahme. Was bleibt also noch? Solipsismus? Nur ich allein existiere, ohne irgendwohin zu fliegen… Aber das bedeutete doch, daß es keinen Anonymus Tichy, keinen Jeremias, keinen
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