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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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doch immerhin erklärte sich der geheimnisvolle Doktor bereit, mich »auf seinem Besitztum« auf Kreta zu empfangen. Wie ich der Landkarte entnahm, trennten diesen Besitz kaum sechzig Meilen von dem Ort, an dem der legendäre Minotaurus gelebt hatte.
      Ein einsamer Kybernetiker mit eigenem Grundbesitz auf Kreta, der seine Zeit mit rätselhaften Arbeiten verbrachte! Noch am selben Nachmittag flog ich nach Athen. Eine weitere Flugverbindung gab es nicht, aber ich kam auf einem Dampfer unter, der am frühen Morgen an der Insel anlegte. Mit einem Mietauto fuhr ich bis zu einer Weggabelung; die Straße war schlecht, Hitze herrschte; die Hügel der Umgebung hatten die Farbe ausgebrannten Kupfers, das Auto, meinen Koffer, den Anzug und das Gesicht bedeckte eine Staubschicht.
      Auf den letzten Kilometern begegnete ich keiner Menschenseele, konnte also niemanden nach dem weiteren Weg fragen. Diagoras hatte mir geschrieben, ich solle beim dreißigsten Meilenstein halten, weil ich nicht weiter durchkommen würde; ich ließ also das Auto im kümmerlichen Schatten der Pinien stehen und ging daran, die unübersichtliche Umgebung zu erkunden. Das Gelände war mit der typischen Mittelmeerflora bewachsen, die so unangenehm ist, wenn man mit ihr in nähere Berührung kommt – es ist völlig unmöglich, vom Pfad abzubiegen, denn im Nu hakt sich einem das sonnenverbrannte stachelige Dickicht am Anzug fest. So irrte ich nahezu drei Stunden lang auf den steinigen Pfaden umher, naß von Schweiß. Zorn über die eigene Unvernunft packte mich; wozu kümmerte ich mich auch um jenen Menschen und seine Geschichte? Da ich gegen Mittag, also in der größten Hitze, aufgebrochen war, hatte ich nichts gegessen, und nun nagte der Hunger an mir. Ich kehrte also zum Auto zurück. Der schmale Schattenstreifen war inzwischen weitergewandert, die Lederpolster brieten wie in einem Ofen, im Wageninnern stank es nach Benzin und erhitztem Lack, so daß einem übel werden konnte.
      Plötzlich tauchte hinter einer Biegung ein einsames Schaf auf, näherte sich mir, blökte mit einer Stimme, die an eine menschliche erinnerte, und trippelte seitwärts – als es aus meinem Blickfeld schwand, gewahrte ich einen schmalen Steig, der sich über den Hang wand. Ich wartete auf einen Hirten, aber niemand zeigte sich. Obwohl ich das Schaf nicht gerade als einen verläßlichen Wegführer betrachtete, stieg ich erneut aus dem Auto und begann mich durch das Dickicht zu kämpfen. Bald wurde der Weg bequemer. Die Dämmerung brach bereits herein, als sich hinter einem Zitronenhain die Umrisse eines stattlichen Gebäudes abzeichneten. Die Büsche wichen Gras, das so trocken war, daß es unter den Füßen raschelte wie verkohltes Papier. Das Haus, ungefüge, dunkel, auffallend häßlich, mit den Resten eines brüchigen Portals, war in großem Radius von einem hohen Drahtgeflecht umgeben. Die Sonne ging unter, und ich konnte noch immer nicht den Eingang finden; ich begann laut zu rufen, jedoch ohne Erfolg – sämtliche Fenster waren mit Läden verschlossen. Ich gab schon die Hoffnung auf, jemanden anzutreffen, als sich das Tor öffnete. Ein Mensch zeigte sich.
      Mit einer Geste deutete er an, in welche Richtung ich zu gehen hätte; die Pforte war so von Dickicht überwuchert, daß ich sie an dieser Stelle nie vermutet hätte. Das Gesicht vor den stacheligen Ästen schützend, gelangte ich zu ihr; sie war bereits aufgeschlossen. Der Mann, der sie geöffnet hatte, sah wie ein Monteur oder wie ein Fleischermeister aus. Er war dickbauchig, hatte einen kurzen Hals, auf dem kahlen Kopf saß ein verschwitzter Fez, und statt eines Überrocks trug er über dem Hemd mit den hochgekrempelten Ärmeln eine lange Wachstuchschürze.
      »Entschuldigen Sie – wohnt hier Dr. Diagoras?« fragte ich.
      Er hob sein ausdrucksloses Gesicht, das ein wenig massig wirkte, unförmig, mit hängenden Wangen. Es konnte das Gesicht eines Metzgers sein, aber die Augen darin waren hell und scharf wie ein Messer. Er sagte kein Wort, sah mich nur an, und ich begriff, daß es der Doktor persönlich war.
    »Entschuldigen Sie«, wiederholte ich, »Dr. Diagoras, nicht wahr?«
      Er reichte mir die Hand, klein und weich wie die einer Frau, und drückte die meine mit unerwarteter Kraft. Er bewegte die Kopfhaut, wobei ihm der Fez in den Nacken rutschte, steckte beide Hände in die Schürzentaschen und fragte mit einer Spur gleichgültiger Verächtlichkeit: »Was wünschen Sie eigentlich von

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