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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Altersschwäche litt und die nicht einmal mehr die Zehn Gebote zusammenbekam. Ich besuchte die Station der Elektrostheniker, wo fixe Ideen geheilt wurden – ein Patient zum Beispiel schraubte sich unaufhörlich auseinander, mit allem, was ihm gerade in die Hände fiel; stets mußte man ihm das Werkzeug wegnehmen, das er versteckte.
      Ein Elektronenhirn, Mitarbeiter eines astronomischen Observatoriums, das dreißig Jahre lang Sterne modelliert hatte, hielt sich für das Sigma des Wals und drohte stets damit, es werde im nächsten Augenblick als eine Supernova explodieren. Das ergab sich so aus seinen Berechnungen. Es gab auch einen, der flehend darum bat, man möge ihn in eine elektrische Mangel umarbeiten, denn er habe die vergeistigte Existenz satt. Bei den Manikern ging es lusti ger zu, die Gruppe hatte sich neben den eisernen Bettgestellen niedergelassen, spielte auf den Federböden wie auf Harfen und sang im Chor: »Hei, kam ein Roboter geflogen, gab ’nen leisen Knisterlaut, alle Schräubchen bebten ihm…« sowie »Dacht ich mir, es sind die Katzen, die da an den Zäunen kratzen, doch dabei sind’s Roboter, Roboter« und so weiter.
      Der Assistent von Vliperdius, der mich begleitete, erzählte mir, unlängst habe sich ein Priester-Roboter in der Anstalt aufgehalten, der einen »Kyberiker-Orden« gründen wollte. Unter der Schocktherapie habe sich sein Befinden inzwischen so gebessert, daß er zu einer früheren Beschäftigung, der Anfertigung von Bankbilanzen, zurückkehren konnte. Als ich mit dem jungen Assistenten zurückging, traf ich auf dem Flur einen Kranken, der einen vollgeladenen Wagen hinter sich herzerrte. Er bot einen eigenartigen Anblick, denn er war über und über mit Schnüren umwunden.
      »Haben Sie zufällig einen Hammer bei sich?« fragte er.
      »Nein.«
      »Schade. Ich habe Kopfschmerzen.«
      Er war ein Hypochonder-Roboter, und er ließ sich auf ein Gespräch ein. Auf dem quietschenden Wagen führte er einen kompletten Satz an Ersatzteilen mit sich. Binnen zehn Minuten wußte ich bereits, daß er bei einem Gewitter immer Kreuzschmerzen hatte, daß ihm beim Fernsehen alle Körperteile erstarrten und daß in seinen Augen Funken sprühten, wenn jemand in der Nähe eine Katze streichelte. Das Ganze war ziemlich langweilig, ich ließ ihn also kurzerhand stehen und ging zum Direktor der Anstalt. Der war jedoch beschäftigt, deshalb bat ich seine Sekretärin, ihm meine Hochachtung auszurichten, und begab mich nach Hause.

    DOKTOR DIAGORAS

    Am XVIII. Internationalen Kongreß der Kybernetiker konnte ich nicht teilnehmen, aber ich versuchte, seinen Verlauf in den Zeitungen zu verfolgen. Das war nicht leicht, zumal Reporter die besondere Gabe haben, wissenschaftliche Daten zu verdrehen. Ihnen jedoch verdanke ich die Bekanntschaft mit Dr. Diagoras, denn sein Auftritt war für sie eine Sensation in der sogenannten SaureGurken-Zeit. Hätte ich damals nur Fachzeitschriften zur Verfügung gehabt, wäre mir von der Existenz dieses einzigartigen Menschen nichts zu Ohren gekommen, er wurde nämlich nur auf der Teilnehmerliste erwähnt, aber sein Auftritt wurde mit Schweigen übergangen. Aus den Zeitungen erfuhr ich, daß sein Auftritt schändlich war, und nur dem diplomatischen Geschick des Präsidiums sei es zu verdanken gewesen, daß es nicht zu einem Skandal kam, denn dieser selbsternannte und niemandem bekannte Reformator der Wissenschaft bedachte die hervorragendsten Autoritäten, die im Saal anwesend waren, mit Beschimpfungen, und als man ihm das Wort entzog, zerschlug er mit dem Spazierstock das Mikrofon. Die Epitheta, mit denen er die Leuchten der Wissenschaft bedachte, verbreitete die Presse fast in allen Einzelheiten, doch worum es diesem Menschen wirklich ging, verschwieg man so offensichtlich, daß mein Interesse wachgerufen wurde.
      Nach Hause zurückgekehrt, begann ich die Spuren des Dr. Diagoras zu suchen, aber weder in den Jahrgängen der »Kybernetischen Probleme« noch in der großen Ausgabe von »Who is who« fand ich seinen Namen. Ich rief also bei Professor Corcoran an, der mir erklärte, er kenne die Adresse dieses »Irrsinnigen« nicht, doch selbst wenn er sie wüßte, würde er sie mir nicht geben, denn das fehlte noch, daß ich mich mit diesem Diagoras ernsthaft beschäftigte. Daraufhin veröffentlichte ich in der Presse mehrere Annoncen, die zu meiner Verwunderung bald Erfolg hatten. Ich erhielt einen Brief, trocken, bündig und im Grunde sogar unfreundlich,

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