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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wollen Sie mit ihm sprechen?« Er deutete auf die Schnur der Wanduhr. »Bitte.«
      »Nein«, erwiderte ich. Was war das? Wahnsinn? Ein wunderlicher, makabrer Scherz? Rache?
      »Aber der wahre Corcoran ist doch in diesem Augenblick in seinem Labor in Europa…«, warf ich ein.
      »In der Tat. Das hier ist nur sein geistiges Porträt. Aber ein durchaus getreues – das dem Original in nichts nachsteht…«
      »Warum haben Sie das getan?«
      »Ich brauche das. Ich mußte einmal ein menschliches Hirn modellieren; sozusagen als Vorbereitung auf ein anderes, schwierigeres Problem. Die Person hatte hier keine Bedeutung; ich wählte eben Corcoran… was weiß ich, warum… wahrscheinlich weil mir das gefiel. Er selbst hat so viele denkende Kästen geschaffen – da dachte ich mir, es könnte ganz belustigend sein, ihn selbst in einem solchen einzuschließen, vor allem in einer Spieluhr.«
      »Weiß er davon…?« warf ich rasch ein, als er sich bereits zur Tür wandte.
      »Gewiß«, erwiderte er gleichgültig. »Ich habe ihm sogar ein Gespräch ermöglicht, und zwar mit sich selbst – telefonisch, versteht sich. Aber das ist nicht so wichtig; ich wollte mich vor Ihnen gar nicht brüsten; es war ein Zufall, daß es gerade acht schlug, als Sie kamen…«
      Mit ausgesprochen gemischten Gefühlen folgte ich ihm durch den Flur, an dessen Wänden, von Spinnweben und Finsternis bedeckt, irgendwelche Metallskelette hervorragten, die an Gerippe prähistorischer Kriechtiere oder vielmehr an deren Ausgrabungsreste erinnerten. Der Gang endete vor einer Tür, hinter der es dunkel war. Ich hörte den Knacklaut beim Drehen des Schalters. Wir standen auf einer steinernen Wendeltreppe. Diagoras ging voran, sein flacher, entenähnlicher Schatten huschte über die Steinplattenwand. Wir blieben vor einer metallenen Tür stehen; er öffnete sie mit dem Schlüssel. Stickige, erwärmte Luft schlug mir ins Gesicht, Licht flammte auf. Wir waren nicht, wie ich angenommen hatte, im Labor – wenn dieser lange Raum mit dem Durchgang in der Mitte an etwas erinnerte, so an die Menagerie eines Wanderzirkus. Zu beiden Seiten standen Käfige. Ich folgte Diagoras, der mit seinen auf dem Rücken gekreuzten Schürzengurten und in dem verschwitzten Hemd wie ein Tierwärter aussah.
      Ein Drahtnetz schloß die Käfige von unserer Seite ab. In den dunklen Boxen dahinter schimmerten undeutliche Formen – irgendwelcher Maschinen? Pressen? Auf jeden Fall waren es keine Lebewesen. Dennoch zog ich instinktiv die Luft ein, als erwartete ich die charakteristische Ausdünstung wilder Tiere. In der Luft schwebte jedoch nur der Geruch von Chemikalien, erwärmtem Öl und Gummi.
      Vor den weiteren Boxen war das Netz so dicht, daß ich unwillkürlich an Vögel denken mußte, denn welchen anderen Geschöpfen muß man den Weg so sehr verschließen? In den folgenden Käfigen ersetzten Gitter das Drahtnetz, ähnlich wie in einem zoologischen Garten, wo man von den Vögeln und den Affen schließlich zu den Käfigen der Wölfe und der großen Raubtiere gelangt.
      Die letzte Abteilung war mit doppeltem Gitter versehen, das äußere war vom inneren ungefähr einen halben Meter entfernt. Sol che Gitter verwendet man bei besonders bösartigen Tieren, um Unvorsichtigen eine zu nahe Nachbarschaft mit der Bestie unmöglich zu machen. Diagoras blieb stehen, näherte sein Gesicht dem Gitter und pochte mit dem Schlüssel gegen die Stäbe. Ich warf einen Blick hinein. Irgend etwas ruhte in der entfernten Ecke, aber das Dämmerlicht gestattete es mir nicht, die Umrisse der dunklen Masse zu erkennen. Plötzlich schnellte der unförmige Klumpen auf uns zu – ich kam nicht einmal dazu, den Kopf zurückzuziehen. Das Gitter dröhnte, als habe ein Hammer dagegengeschlagen. Ich sprang instinktiv zurück, doch Diagoras rührte sich nicht einmal. Unmittelbar vor seinem ruhigen Gesicht hing auf eine mir unbegreifliche Weise an dem Gitter ein Gebilde; es reflektierte mit seinem ganzen Körper das Licht, das sich wie Öl auf seiner Oberfläche verteilte. Es war gewissermaßen die Kreuzung eines Insektenhinterteils mit einem Schädel; dieser Schädel, unsäglich häßlich und zugleich menschlich, bar jeder Mimik, weil er metallen war, schien mit seinem ganzen Selbst auf Diagoras zu starren, und das so gierig, daß mir ein Schauer über den Rücken lief. Das Gitter, an dem es hing, verwischte sich ein wenig in den Konturen, ein Zeichen für die Kraft, mit der das Gebilde

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