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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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kolloidale Suppe? Statt zu entdecken, muß man zudecken, immer mehr zudecken, damit nichts übrigbleibt, du an Knochen hängender Kleister! So muß es sein. Nur durch Regreß zum Progreß! Ungültig machen! Rückgängig machen! Aufheben! Die Natur – weg mit ihr! Weg mit der Natur! Weeeg!«
      Seine Schreie drangen aus immer größerer Entfernung zu mir und verstummten schließlich. Nur noch das Summen der Bienen umgab mich, der Duft der Blumen, die Stille des wunderschönen Mittags. Ich mußte daran denken, daß Dr. Vliperdius übertrieben hatte, als er betonte, es gäbe zur Zeit keine aufsehenerregenden Roboter mehr. Offenbar zeitigten die neuen therapeutischen Methoden nicht immer ihre Wirkung. Das Erlebnis selbst jedoch, die Philippika auf die Natur, die ich da vernommen hatte – all das schien mir diese paar blauen Flecke und die Beule auf dem Kopf wert zu sein. Ich erfuhr später, daß jener Roboter, ein ehemaliger Analysator der harmonischen Fourrierreihen, eine eigene Daseins theorie geschaffen hatte, die sich auf die Anhäufung von Entdeckungen durch die Zivilisation stützt, bis es zu einem solchen Übermaß kommt, daß es keinen anderen Ausweg gibt, als die Entdeckungen nacheinander wieder »zuzudecken«. Auf diese Weise gebe es nicht nur für die Zivilisation keinen Platz, sondern auch für den Kosmos, der sie hervorgebracht hat. Es folge eine totale fortschrittliche Liquidierung, und der ganze Zyklus beginne von neuem. Er selbst hielt sich für einen Propheten der zweiten, der zudeckenden Phase. Man hatte ihn auf Betreiben seiner Familie in Vliperdius’ Anstalt eingeschlossen, als er vom Auseinandermontieren der Bekannten und Verwandten zur Demontage dritter Personen überging.
      Als ich die Laube verlassen hatte, sah ich eine Zeitlang den Schwänen zu. Neben mir warf ein Sonderling den Tieren kleine Drahtstücke zu. Ich sagte ihm, daß die Schwäne das nicht fressen.
      »Mir liegt nichts daran, daß sie das fressen«, erwiderte er und fuhr in seiner Beschäftigung fort.
      »Aber sie könnten ersticken, es wäre schade«, sagte ich.
      »Sie werden nicht ersticken, denn der Draht geht unter. Er ist schwerer als das Wasser«, erläuterte er sachlich.
      »Warum werfen Sie ihn dann hinein?«
      »Weil ich gern Schwäne füttere.«
      Das Thema war erschöpft. Als wir den Teich hinter uns ließen, bahnte sich ein Gespräch an. Wie sich herausstellte, hatte ich es mit einem berühmten Philosophen zu tun, dem Schöpfer der Ontologie des Nichts, anders gesagt: der Neantologie, dem Fortsetzer des Werkes des Georgias von Lentinoi – mit Professor Urlipan persönlich. Der Professor erzählte mir des langen und breiten von der neuesten Entwicklung seiner Theorie. Ihr zufolge besteht nichts, nicht einmal er selbst. Das Nichts des Daseins ist vollkommen immanent. Die Tatsache, daß dieses und jenes scheinbar existiere, hat nicht die geringste Bedeutung, denn die Überlegung verläuft entsprechend Ockhams Rasiermesser folgendermaßen: Scheinbar existieren das Wachsein oder die Realität und der Traum. Aber die Hypothese des Wachseins ist nicht unbedingt notwendig. Es existiert also der Traum. Aber der Traum erfordert einen Träumenden. Das Postulieren eines Träumenden ist wiederum eine nicht notwendige Hypothese, denn manchmal pflegt es so zu sein, daß einer im Traum einen anderen, einen zweiten Traum träumt. So ist alles ein Traum, den der nächste Traum träumt, und so geht es weiter bis ins Unendliche. Und weil nun – das ist der wichtigste Punkt – jeder nächstfolgende Traum weniger real ist als der vorhergehende (der Traum grenzt unmittelbar an die Realität, der im Traum geträumte Traum nur mittelbar, das heißt über den Traum, der dritte seinerseits über zwei Träume und so weiter), ist die Grenze dieser Reihe Null. Ergo träumt niemand in der letzten Instanz Null, ergo existiert nur nichts: das heißt: Es gibt nichts. Die vollkommene Exaktheit des Beweises fand meine Bewunderung. Ich begriff nur nicht, warum sich der Professor Urlipan ausgerechnet an diesem Ort befand. Wie sich herausstellte, war er wahnsinnig geworden – er selbst gestand mir das. Seine Verrücktheit bestand darin, daß er aufgehört hatte, an seine Doktrin zu glauben, und Augenblicke hatte, in denen es ihm schien, als ob doch etwas existiere. Dr. Vliperdius sollte ihn von diesem Wahn kurieren.
      Dann besichtigte ich die einzelnen Stationen. Ich lernte eine orthodoxe Rechenmaschine kennen, die unter

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