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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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gegen die Stäbe drückte. Diagoras, der sich ihrer Haltbarkeit offenbar ganz sicher war, betrachtete dieses eigenartige Wesen etwa so, wie ein Gärtner oder ein vernarrter Züchter eine besonders gelungene Obstkreuzung begutachtet. Der stählerne Klumpen glitt mit entsetzlichem Knirschen an dem Gitter hinunter und erstarrte. Der Käfig wirkte wieder wie leer.
      Diagoras ging wortlos weiter, und ich folgte ihm, berauscht, obwohl ich allmählich zu begreifen begann. Eigentlich lehnte ich mich gegen die Erklärung auf, die mir die Phantasie anbot – sie war zu pervers. Der Doktor gab mir jedoch keine Zeit zum Überlegen. Er blieb stehen.
      »Nein«, sagte er leise und sanft, »Sie irren sich, Tichy, ich baue sie nicht zum Vergnügen, und ich lechze auch nicht nach ihrem Haß, ich kümmere mich nicht um die Gefühle meiner Kinderchen… das waren einfach Versuchsetappen, notwendige Etappen. Um eine Deutung komme ich wohl nicht herum, aber ich beginne der Kürze wegen in der Mitte… Sie wissen, was Konstrukteure von ihren kybernetischen Produkten verlangen?«
      Ohne mir eine Pause zum Nachdenken zu lassen, antwortete er selber: »Gehorsam! Sie reden nicht davon, und manche wissen es auch gar nicht, denn das ist eine stillschweigend angenommene Hypothese. Ein fataler Fehler! Sie bauen eine Maschine und geben ihr ein Programm ein, das sie erfüllen muß, ganz gleich, ob es eine mathematische Aufgabe oder eine Serie von Kontrollvorgängen ist, zum Beispiel in einer automatischen Fabrik… Ein fataler Fehler, sage ich, denn um bestimmter Ergebnisse willen verschließen sie ihren eigenen Werken den Weg jeglicher Spontaneität… Begreifen Sie, Tichy, der Gehorsam eines Hammers, einer Drehmaschine, einer Elektronenmaschine ist im Grunde derselbe – aber uns ging es doch nicht darum! Die Unterschiede, die hier erfolgen, sind nur quantitativ – die Schläge des Hammers leiten sie unmittelbar, die Elektronenmaschine programmieren sie nur und kennen ihren Weg nicht mehr so genau, auf dem sie zur Lösung gelangt, wie sie den Weg eines primitiven Werkzeugs kennen, aber die Kybernetiker versprachen doch das Denken, das heißt die Autonomie und somit die relative Unabhängigkeit der erbauten Systeme vom Menschen! Der bestdressierte Hund kann seinem Herrn den Gehorsam verweigern, aber niemand wird dann sagen, der Hund sei ›entzwei‹. Dagegen wird man gerade mit diesem Begriff eine entgegen ihrem Programm wirkende, also ungehorsame Maschine bezeichnen… Aber was heißt hier Hund! Das Nervensystem des ersten besten Käfers, der nicht größer ist als ein Stecknadelkopf, weist Spontaneität auf, sogar eine Amöbe hat ihre Launen, ihre Unberechenbarkeiten! Ohne solche Unberechenbarkeit gibt es keine Kybernetik. Das Verständnis dieses einfachen Sachverhalts ist eigentlich alles. Der ganze Rest« – er umfaßte mit einer Geste seiner kleinen Hand die schweigende Halle, die Reihen der Gitterstäbe, hinter denen unbewegliche Finsternis herrschte –, »der ganze Rest ist nur die Konsequenz…«
      »Ich weiß nicht, inwieweit Sie die Arbeiten Professor Corcorans kennen«, begann ich und brach ab: mir war die »Spieluhr« eingefallen.
      »Lassen Sie mich mit dem zufrieden!« knurrte er und stieß mit einer eigenartigen Bewegung beide Hände in die Schürzentaschen. »Corcoran, mein Herr, hat einen gewöhnlichen Mißbrauch begangen. Er wollte philosophieren, das heißt Gott sein, denn was ist Philosophie letztlich, wenn nicht der Wille, alles in einem höheren Grade, als es die Wissenschaft ermöglicht, zu verstehen. Die Philosophie will auf alle Fragen eine Antwort geben, eben wie ein Gott. Corcoran hat sich bemüht, es zu werden, die Kybernetik war für ihn lediglich ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck. Ich will nur Mensch sein, Tichy. Nichts mehr. Aber gerade deshalb bin ich weitergekommen als Corcoran, denn er hatte sich in seinem Bestreben, auf das es ihm ankam, sogleich beschränkt: Er modellierte in seinen Maschinen gewissermaßen die menschliche Welt, er schuf eine geschickte Imitation, nichts weiter. Ich könnte, wenn mir daran gelegen wäre, beliebige Welten erzeugen, aber was habe ich von Plagiaten…? Und vielleicht werde ich es dereinst tun, doch vorläufig habe ich andere Probleme. Haben Sie von meinen Streitereien gehört? Sie brauchen nicht zu antworten, ich weiß, daß es so ist. Diese idiotische Fama hat Sie hierhergelockt. Das ist Unfug, Tichy. Mich hat einfach die Blindheit dieser Menschen irritiert.

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