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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wußte nicht, was das Ganze bedeuten sollte. Das Schweigen zwischen uns wurde immer unerträglicher; ich versuchte es zu brechen, fand aber keine belanglose Bemerkung, um ein Gespräch zu beginnen. Sein Blick sagte mir schon zuviel und zugleich zuwenig.
      »Ärmster…«, begann er leise, mit unsagbarer Freundlichkeit in der Stimme, »wie sehr empfinde ich mit dir…«
      »Aber wissen Sie, eigentlich…«, gab ich zurück, um mich mit Worten gegen das unerklärliche Mitleid aufzulehnen, das er mir entgegenbrachte.
      »Bitte, sag nichts, ich verstehe alles. Mehr, als du glaubst. Ich weiß auch, daß du mich für einen Verrückten hältst.«
      »Aber wieso denn«, versuchte ich zu leugnen, doch er unterbrach mich mit einer entschiedenen Bewegung.
      »In gewissem Sinne bin ich wirklich ein Verrückter«, sagte er fast majestätisch. »Wie Galilei, wie Newton, wie Giordano Bruno. Wären meine Ansichten nur verstandesmäßiger Natur – gut. Aber wichtiger pflegen Gefühle zu sein. Wie sehr bemitleide ich dich, du Opfer des Universums! Was für ein Unglück, was für eine Falle ohne Ausweg – zu leben…«
      »Gewiß, das Leben bringt einem so manchen Verdruß«, warf ich schnell ein, da ich endlich einen Anhaltspunkt gefunden hatte, »dennoch, als ein gewissermaßen natürliches Phänomen…«
      »Das ist es!« Er nagelte mich bei dem letzten Wort fest. »Natürlich! Gibt es etwas Kümmerlicheres als die Natur? Die Gelehrten, die Philosophen – alle versuchen die Natur zu erklären, und dabei muß man sie abschaffen, du Unglückseliger!«
      »Vollends…?« fragte ich, denn dieser radikale Standpunkt faszinierte mich unwillkürlich.
      »Nur!« erwiderte er kategorisch. »Bitte, schau dir das an.«
      Ganz zart, wie eine Raupe, die es zu betrachten galt, aber zugleich angewidert (den Ekel versuchte er zu unterdrücken), hob er meine Hand, und während er sie so zwischen uns hielt wie ein seltsames Exemplar, fuhr er leise, aber mit Nachdruck fort: »Wie wäßrig das ist… wie wabblig, wie weich… Eiweiß! Ach, dieses Eiweiß… Käse, der sich eine Zeitlang bewegt – denkende Butter – das tragische Produkt eines Molkereimißverständnisses, wandelnde Mittelmäßigkeit…«
      »Bitte verzeihen Sie, aber…«
      Er schenkte meinen Worten nicht die geringste Beachtung. Ich versteckte rasch die Hand unter dem Tisch, die er losgelassen hatte, als sei er nicht länger imstande, ihre Berührung zu ertragen. Statt dessen legte er mir nun seine Hand auf den Kopf. Sie war unheimlich schwer.
      »Wie kann man nur! Wie kann man nur so etwas produzieren!« ereiferte er sich und verstärkte den Druck, daß mir der Schädel zu schmerzen begann. Dennoch wagte ich nicht zu protestieren.
      »Lächerliche Beulchen, Löcher… Blumenkohl!« Mit eiserner Gewalt stieß er an meine Nase und meine Ohren. »Und das soll ein vernünftiges Wesen sein? Schande! Schande, sage ich! Ist eine Natur denn viel wert, wenn sie nach vier Milliarden Jahren so etwas erzeugt?«

    Er stieß meinen Kopf von sich, daß er schwankte. Ich sah Ster
    ne.
      »Gebt mir eine Milliarde, und ihr werdet sehen, was ich schaffe!«
      »Gewiß, die Unvollkommenheit der biologischen Evolution«, hob ich an, aber er ließ mich nicht zu Worte kommen.
      »Unvollkommenheit!?« platzte er heraus. »Abfall! Schund! Pfuscharbeit! Wenn man etwas nicht richtig machen kann, sollte man die Finger davon lassen!«
      »Ich möchte ja nichts rechtfertigen«, warf ich rasch ein, »aber die Natur hat aus dem etwas gemacht, was sie zur Verfügung hatte. Im Urozean…«
      »Schwamm, lauter Schmutz!« vollendete er so laut, daß ich erbebte. »Etwa nicht? Ein Stern explodierte, es entstanden Planeten, und aus den Abfällen, die zu nichts taugen, aus klebrigen Resten entstand das Leben! Genug! Genug von diesen prallen Sonnen, von diesen idiotischen Milchstraßen, von diesem vergeistigten Schleim – genug davon!«
      »Aber die Atome«, begann ich, doch er ließ mich nicht zu Ende sprechen. Ich sah bereits die Pfleger, die sich auf dem Rasen näherten, das Geschrei meines Gesprächspartners hatte sie herbeigelockt.
      »Ich pfeife auf Atome!« donnerte er los. Sie packten ihn von beiden Seiten unter den Armen. Er ließ sich widerstandslos anheben, aber ohne mich aus den Augen zu lassen – er ging nämlich rückwärts, wie ein Krebs –, brüllte er, daß es im ganzen Park widerhallte: »Man muß eingreifen! Hörst du, du blasse

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