Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
mir?«
      »Nichts«, erwiderte ich sofort. Ich war zu dieser Reise ohne Überlegung aufgebrochen, jedoch vorbereitet war ich auf so manches; ich wollte diesen überdurchschnittlichen Menschen kennenlernen, aber ich wollte Beleidigungen nicht in Kauf nehmen. Ich legte mir schon im Kopf den Plan für den Rückweg zurecht, während er mich lange betrachtete, bis er schließlich sagte: »Na gut. Bitte folgen Sie mir…«
      Es war schon Abend. Diagoras führte mich zu dem düsteren Bau, trat in den dunklen Flur, und als ich ihm dorthin gefolgt war, ertönte ein steinernes Echo wie in einem Kirchenschiff. Der Hausherr fand den Weg mit größter Leichtigkeit, er hielt es nicht für nötig, mich vor einer Treppenstufe zu warnen, so daß ich stolperte und innerlich fluchend nach oben stieg, wo durch eine offene Tür ein schwacher Lichtschein fiel.
      Wir betraten das Zimmer; es hatte nur ein Fenster, das obendrein verhangen war. Die Form des Raums, vor allem das ungewöhnlich hohe Bogengewölbe, erweckte eher den Eindruck eines Turmes als eines Wohnhauses. Er war vollgestellt mit massigen schwarzen Möbeln, deren Politur ihren Glanz verloren hatte. Es gab Stühle mit unbequemen Lehnen, die durch Schnitzereien deformiert waren, an den Wänden hingen ovale Miniaturen, in der Ecke stand eine Uhr, ein wahres Monstrum mit einem Zifferblatt aus poliertem Kupfer und einem Pendel von der Größe eines hellenischen Schildes.
      In dem Zimmer war es ziemlich dunkel – der Schein der Glühbirnen, die im Innern einer komplizierten, von reflektierenden Schirmen verhüllten Lampe versteckt waren, erhellte nur recht und schlecht den quadratischen Tisch. Die düsteren Wände mit ihren schmutzig-rostbraunen Beschlägen schluckten so sehr das Licht, daß die Ecken geradezu schwarz waren. Diagoras stand am Tisch, die Hände in den Taschen seiner Schürze; es schien, als warteten wir auf etwas. Ich stellte gerade den Handkoffer auf den Fußboden, als die große Uhr zu schlagen begann. Sie schlug mit reinem, starkem Ton die achte Stunde, dann schnarrte etwas in ihr, und es ertönte eine altersschwache, aber rüstige Stimme: »Diagoras, du Schuft! Wo steckst du? Wie kannst du es wagen, so mit mir umzugehen? Mach dich bemerkbar! Hörst du? Bei Gott! Diagoras… alles hat seine Grenzen!« In diesen Worten zitterte Wut und Verzweiflung zugleich, aber nicht das verwunderte mich am meisten. Ich erkannte diese Stimme – sie gehörte Professor Corcoran.
      »Wenn du dich nicht meldest…«, tönte es drohend, doch plötzlich rasselte der Uhrmechanismus erneut, und alles verstummte.
      »Was denn…«, sagte ich, »haben Sie in diese ehrwürdige Kiste ein Grammophon eingebaut? Ist Ihnen Ihre Zeit für solche Spielsachen nicht zu schade?«
      Ich sagte das wohlweislich, um ihn zu treffen. Aber Diagoras schien das nicht zu hören, denn er zog an einer Schnur, und wieder erfüllte die gleiche heisere Stimme das Zimmer: »Diagoras, du wirst es bedauern… dessen kannst du sicher sein! Alles, was dir zugestoßen ist, rechtfertigt nicht die Mißachtung, die du mir widerfahren läßt! Denkst du, daß ich mich zu Bitten erniedrigen werde…«
      »Das hast du bereits getan«, warf der Doktor beiläufig ein.
      »Du lügst! Du bist ein Schurke, dreifach ein Schurke, der es nicht wert ist, die Bezeichnung eines Gelehrten zu tragen! Die Welt erfährt von deiner…«
      Die Zahnrädchen drehten sich einige Male, und wieder herrschte Stille.
      »Ein Grammophon…?« fragte Diagoras mit einer Ironie, die nur ihm verständlich war. »Grammophon? Nein, mein Herr. In der Wanduhr ist der Professor in persona oder vielmehr in spiritu suo, um es so zu sagen. Ich habe ihn verewigt, aus einer Laune heraus – was ist daran so schlimm?«
      »Wie soll ich das begreifen…?« stammelte ich. Der Dicke überlegte, ob ich einer Antwort würdig sei.
      »Ich habe«, sagte er schließlich, »buchstäblich alle Züge seiner Persönlichkeit komponiert… einmodelliert in ein bestimmtes System. Ich habe elektronisch seine Seele miniaturisiert, und so ist ein getreues Porträt jener bekannten Person entstanden… hier drinnen, in dieser Uhr…«
      »Sie behaupten, das sei nicht nur seine festgehaltene Stimme?«
      Er zuckte mit den Schultern. »Bitte, versuchen Sie es selbst. Man kann sich mit ihm in ein Gespräch einlassen, obwohl er sich nicht gerade durch beste Laune auszeichnet, was jedoch unter diesen Umständen ziemlich verständlich ist…

Weitere Kostenlose Bücher