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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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lange, bis sie nicht mehr zu sehen war.
    »Was soll das jetzt?« fing einer an, doch der mit den Locken stieß ihn zur Seite, bevor er sich über Dorian beugte.
    »Kannst du aufstehen?« fragte er. »Willst du was trinken?«
    Sein Bauch brannte.
    Als er wieder in diesem Verschlag warten mußte, hatte seine Haut sich verfärbt und schillerte in vielen Farben. Wo war Robin, warum war er nicht da? Dorian starrte auf die Tür, die sich nicht öffnen ließ, und wollte an das Böse nicht mehr denken. Einmal hatte ein Mädchen, in das er verliebt gewesen war, ihm einen Abschiedsbrief geschrieben, den sie auch groß angekündigt hatte; dieser Brief, sagte sie am Telefon, ist das letzte, was du von mir hörst. Doch er hatte ihn nie geöffnet und auch ewig so getan, als sei er nie gekommen.
    Robin ging es gut, ganz bestimmt. Nicht an das Böse denken, nur an das Gute. Rabbi, Robbi, rief ihre Mutter, kleine Maus, komm nach Haus, ja, ganz deutlich konnte er Katjas Stimme hören, denn wenn er Angst hatte, war sie immer in seinem Kopf, ganz gleich, wo er war und was mit ihm geschah. Der Sterntaucher holt die Sterne nicht nur von oben, der findet sie überall. Das hatte sie vor langer Zeil einmal erzählt, und heute lächelte er darüber, weil es nicht stimmte. Der Sterntaucher holte gar keine Sterne.
    Wie war Robin auf die Idee gekommen, hier ihre Mutter zu suchen, in dieser Hütte, bei diesen Leuten? Die einzige Frau, die es hier gab, war ihre Komplizin, eine Schlampe auf Stöckelschuhen, die Robin befummelt hatte in ihrem Suff.
    Das hast du jetzt davon, Robbi, so geht es Leuten, die alles glauben, was man ihnen erzählt.
    Als die Tür sich endlich öffnete, fühlte er sich stärker. Der Mann mit den Locken kam auf ihn zu und sagte: »Steh jetzt auf.«
    »Robin«, murmelte Dorian.
    »Robin ist okay.« Der Mann sah an ihm vorbei. »Hat was Gutes gekriegt« – er lächelte schwach – »Melissengeist, das macht ihn wieder fit.«
    Dorian stand auf und zuckte zurück, als er die Hand des Mannes wieder auf seiner Schulter spürte. »Warum«, fragte der Mann, »seid ihr gekommen?«
    »Ich weiß nicht. Keine Ahnung, nur so.«
    »Nur so kommt man nicht hierher.«
    »Es stimmt aber. Wir sind hier rumgelaufen und wollten gleich wieder weg.«
    »Wer hat euch diese Adresse gegeben?«
    »Niemand. Wir wollten hier laufen, joggen, dann kam der Regen. Wir wollten uns unterstellen.«
    Der Mann seufzte. »Du kannst zur Polizei gehen«, sagte er leise. »Die schicken dich zu Ärzten. Die werden dich von Kopf bis Fuß betatschen, überall. Es werden Fotos von dir gemacht.«
    »Nein«, murmelte Dorian. Er wollte dem Mann einen Gefallen tun, damit der ihn endlich rausließ. »Ich hab mich schon öfter geprügelt, das wird die kaum interessieren.«
    Der Mann nickte. »Kennst du hier jemanden?« fragte er dann.
    »Wen soll ich hier kennen? Ganz bestimmt nicht.«
    »Nein?« fragte er. Seine Stimme klang lauernd, doch seine Augen blickten müde mit einem Mal.
    »Nein«, sagte Dorian. »Von solchen Leuten kenn ich keinen.«
    Der Mann schüttelte leicht den Kopf, wie sein Zahnarzt es machte, wenn Dorian ihm sagte, daß er wieder zu faul gewesen war, sich jeden Abend die Zähne zu putzen. »Dorian«, sagte er dann leise und lauschte dem Klang des Namens hinterher. »Kein Mensch heißt Dorian.«
    Doch er ließ ihn gehen. Er schob ihn zur Tür hinaus und führte ihn durch einen engen, dunklen Gang. So klein, wie diese Hütte war, hatte sie doch einen Hinterausgang, und Dorian wollte heulen, als er Robin draußen sah. Auf seiner Stirn klebte ein riesiges Pflaster, und er sagte: »Ich hab hundert Mark.«
     
    Bis zur U-Bahn hatten sie ewig gebraucht. Sie humpelten und hatten Schmerzen und sprachen nicht davon. Sie sahen einander kaum an.
    Jahre später hörte er die Kommissarin Henkel in einem Vernehmungsraum sagen: »Robin Kammer wurde geschlagen.«
    Nichts ging weg, alles kam zurück.
    Er saß noch immer auf dem Boden neben dem Sternenbild und überlegte, wieviel Zeit vergangen war. Seit wann rechnete man überhaupt in Stunden und Minuten, es war doch so, daß die Menschen irgendwann einmal mit diesem Quatsch begonnen hatten, nur um ihrem Tod viel ängstlicher entgegenzusehen. So war das doch, sie sagten, ach Mensch, schon wieder Weihnachten, das war doch eben erst, oder sie hörten auf, ihre Geburtstage zu feiern, weil sie Angst bekamen: so viel Zeit schon, so viele Jahre. Früher hätte er seine Mutter gefragt, und die hätte bestimmt eine Antwort gewußt,

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