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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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streunende Katzen kreischten in der Nacht.
    Das war er selber gewesen. Er wollte nicht schreien, aber er mußte.
    Weiße Wände, schwarze Möbel, rote Kissen. Noch mal von vorn, sieben rote Kissen, sechs Kissen, nein, sieben. Zähl nach, guck hin. Rote Kissen. Alles hatte er sich eingeprägt, weil er so viel wie möglich sehen wollte, um den Schmerz nicht so stark zu spüren, und er fing sogar an, die Möbelstücke auszumessen, bis der Schmerz so stark wurde, daß er den Faden verlor. Doch er hörte die Kamera klicken und er hörte das Surren über die Musik hinweg. Sie fotografierten ihn und filmten ihn, und er glaubte, daß er der Welt nicht mehr ins Gesicht sehen könnte, wenn es hier zu Ende war. Zwei Männer mit Masken über ihm, die ihn schlugen und verbrannten. Zwei weitere, die zuguckten und dabei rauchten und tranken, Männer, die er bestrafen würde eines Tages, wenn die Zeit soweit war.
    Robin, wo warst du? Bist du die ganze Zeit in diesem Verschlag gewesen und hast warten müssen, bis sie dich holten? Er lag eine ganze Weile da und glaubte, unter ihm löse der Stuhl sich auf, weil er ihn kaum noch spürte. Angebunden lag er da, bis sie ihn herunternahmen und auf den Boden legten. Einer gab ihm zu trinken, der Stumme von draußen. Flößte ihm etwas ein, das nach Blut schmeckte, ließ ihn dann liegen. Er dachte ja, daß er nie wieder hochkam, daß etwas kaputtgegangen wäre in ihm drin, doch als er Robin sah, versuchte er aufzustehen, krabbelte er herum, bis jemand ihn trat.
    »Bleib liegen«, befahl eine Stimme. »Rühr dich nicht.«
    Robin war kleiner geworden und stumm. Wie ein geduckter Zwerg schlich er herein, zwölf Jahre, geführt von dem Mann mit den Locken, an dessen Namen sich Dorian noch immer nicht erinnern konnte. Er wußte, daß er ihn kannte, doch fiel ihm nicht ein, woher. Robin guckte sich nicht um, der sah nur starr geradeaus. Die Musik wurde leiser, und er hörte wieder das Surren der Kamera.
    Aber ich weiß nicht, Robbi, so genau kann ich es nicht sagen. Der Stumme war es bei dir, nicht wahr? Bei mir hat er nur zugesehen, aber dich hat er dann – ja, Robbi, ich weiß. Und mit der Peitsche auch, und dann hat er seine Hosenträger abgenommen, Hosenträger trug der Typ, und die hat er dir um den Hals gebunden, und alle haben gelacht. Hosenträger um den Hals, Knoten rein, zugezogen, Mann, du hast gehechelt und geweint. Ich weiß das doch, Robbi, ich weiß. Sie haben dich nur an den Füßen gefesselt und dir dann bald die Arme gebrochen, weil du dich dauernd wehren wolltest und nicht einsehen konntest, daß es nicht ging. Später, als sie dich losbanden, haben sie dich auf mich draufgelegt, als wären wir zwei Schwuchteln, was sie auch ziemlich komisch fanden, denn ihr Lachen war im Raum, ihr dumpfes, heiseres Lachen, bevor die Musik verklang.
    Der mit den Locken kam zurück. Er war nicht dabeigewesen, hatte uns nur hereingebracht, bevor er wieder ging. Jetzt stand er mitten im Raum wie ein Handwerker, der den Bodenbelag prüft. Aber wir lagen da auf dem Boden, Robbi, weißt du noch? Seine Schuhspitzen haben wir gesehen, glänzende Spitzen, und dann diese blöden Dinger, diese Stöckelschuhe einer Frau. Hohe Schuhe, Tippeldinger mit steilen Absätzen, wie Nutten sie tragen, bloß die.
    Robbi, du hast die ganze Zeit geweint.
    Als die Musik verklang, hörte Robins Schluchzen sich viel lauter an. Eine Weile war es das einzige Geräusch, bis die Schritte hinzukamen, dieses Getrappel auf dem Boden. Dorian sah Schuhe, gut geputzte, glänzende Schuhe, und dann plötzlich diese Stöckelschuhe, von denen er nicht wußte, wie man sie nannte. Frauen hatten einen Namen dafür, etwas Kurzes, das sich komisch anhörte, und er suchte sein Gedächtnis nach diesem Namen ab, als hänge sein Leben daran, dieser Rest, den sie ihm gelassen hatten. Denn lag er nicht schon seit Jahren hier, mit dem Boden längst verwachsen, war er nicht Teil der Erde geworden, ausgegraben, freigelegt und nun bestaunt? Oder waren sie Würmer, Robin und er, aus der Erde gezogen und zertreten? Einer von ihnen blutete, denn da war ein Fleck auf dem Boden, doch wußte Dorian nicht, von wem er stammte, weil er kaum mehr etwas spürte.
    Eine Frauenstimme sagte: »Das ist doch ein Kind.« Eine schleppende, rauhe Stimme war das, die vielleicht einer Drogensüchtigen gehörte, doch lag ein merkwürdiger Klang darin, der ihn einen Moment lang glauben ließ, sie hätte noch etwas anderes gesagt, Dort, weißt du, wie viele Vögel es gibt? Er

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