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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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laß gut sein, stell mir das Rad ab im Hirn. In welches Loch hast du dich verkrochen? Glaub mir, es gibt Leute, die wollen gefunden werden, und ich weiß, daß du wartest, denn das hältst du nicht durch.
    Sie blinzelte in Toms mürrisch verzogenes Gesicht und murmelte: »Ich hab’s vergessen, sorry.«
    »Das tut man nicht.« Er folgte ihr ins Schlafzimmer. »Man vergißt nicht anzurufen.«
    »Nein, hast recht.« Als Dorian Kammer wie von wütenden Teufeln gehetzt aus dieser Kneipe floh, da hatte sie ihn anrufen wollen, komm her, Tommy, hilf mir mit diesem Kerl, pack ihn, denn ich kenn mich nicht mehr aus. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, als sie Dorian unaufhörlich flüstern hörte: Laß mich in Ruhe, hau doch ab. Nein, das geht nicht, wollte sie sagen, wir sind noch nicht fertig, ich muß mit dir reden. Doch als er sich ihr endlich zuwandte, starrte er sie an, als hätte er sie niemals gesehen.
    »Scheiß-Bullerei.« Tom folgte ihr in die Küche, wo er sich zu ihr an den Tisch setzte und sie einander eine Weile ansahen, als hätten sie ihre Worte für diesen Tag verbraucht.
    »Hör mal«, sagte sie schließlich. »Du hast mir doch mal von einem Typ erzählt, der hat Stimmen gehört.« Sie zog eine halbleere Rotweinflasche heran und fing an, mit dem Fingernagel das Etikett zu lösen.
    »Ja, der Johannes. Im Knast war das, der hat mit mir auf der Zelle gelegen.«
    »Und wie war der so?« Sie sah nicht auf, sondern pulte weiter am Etikett herum. »Ich meine, woran hast du das gemerkt?«
    »Na, diese Stimmen haben ja mit ihm gesprochen.« Er stand auf und nahm Weingläser vom Regal, holte ein Stück Käse aus dem Kühlschrank, ein Brett und zwei Messer aus der Schublade und arrangierte alles ordentlich auf dem Tisch. Sie hätte ihn küssen können und wußte nicht, weswegen. Fürs Tischdecken? Doch, ja, fürs Tischdecken mitten in der Nacht mit schlechter Laune.
    »Und weil sie mit ihm gesprochen haben, mußte er auch antworten.« Er ließ sein Messer in den Käse sausen wie ein Beil.
    »Der hat also vor sich hin geredet?«
    »So hat’s ausgesehen, aber ich glaub schon, daß der sich richtig unterhalten hat. Weiß man doch alles nicht, steckt ja nicht drin in den Leuten.«
    »Und was ist aus dem geworden?«
    »Weiß nicht, bin ja dann verlegt worden.« Er kaute und nuschelte: »Hat halt jeder seine Macke. Ich kann ja nun nicht pinkeln, wenn einer daneben steht. Kann ich noch so ’n Druck haben, geht einfach nicht.«
    »Das kannst du doch nicht vergleichen.« Sie goß sein Glas voll und verschüttete etwas, als sie ihn sagen hörte: »Macke ist Macke. Du springst unter die Dusche, sobald du ’ne Leiche hattest.«
    »Das stimmt doch überhaupt nicht. Ist irre schwül draußen, schon gemerkt?«
    »Du machst das auch bei Dauerfrost.«
    »Blödsinn.«
    »Macke ist Macke«, wiederholte er. »Der Schwager meiner Schwester meint –«
    »Tommy, ich will jetzt echt nicht wissen, was der schon wieder –«
    »Der behauptet, wenn Männer nicht vor anderen pinkeln können, hätten sie Angst vor Schwanzvergleichen.«
    »Hm«, sagte sie, »die Angst kann ich dir nehmen.«
    »Ich sag ja auch nur, was er sagt.« Er gähnte und fragte dann: »Warum willste das wissen? Das mit dem Stimmenhören.«
    Sie lehnte sich zurück und guckte so lange ins Lampenlicht, bis kleine bunte Kreise vor ihren Augen tanzten. »Ich hab heute mit einem geredet, da hatte ich den Eindruck, daß der vielleicht – na ja.«
    Na ja, man sprach es nicht aus. Es gab Worte, die man nicht zusammenbrachte, Kollege und Schläger zum Beispiel, oder Kollege und verrückt. Nein, es war der Schock; was wußte sie denn, wie sie selbst reagieren würde, stand sie vor einem Toten, den sie kannte? Schon der Gedanke war nicht zu ertragen, obwohl er ihr oft genug kam. Dorian Kammer hatte vor der Leiche seines getöteten Bruders gestanden, und er wußte oder ahnte vielleicht, was geschehen war. Verrückt war anders, und sie hatte es erlebt, als sie die Gefangene dieser prügelnden Frau gewesen war, deren blicklose Augen nichts wahrgenommen hatten außer der Hölle im eigenen Kopf. Seit damals, als sie überall im Zimmer schwarze Schatten sah und plötzlich wußte, daß der Tod kein Sensenmann, kein Teufel war, sondern nur ein Schatten an der Wand, hatte sie einen Horror vor Verrückten, und vor Dorian Kammer hatte sie keinen. Der hatte nur ein wenig vor sich hin geflüstert, wie selbst Tommy das manchmal machte im Schlaf.
    Im Bett streckte sie sich aus und sah zu, wie

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