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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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keiner.«
    »Blödmann.«
    »Was regst du dich auf? Es geht halt weiter. Jetzt gucken wir erst einmal nach diesem Thiele. Wenn wir Glück haben, führt er uns zu Kemper. Und der wiederum –« Kissel ließ die Fingerspitzen in der Luft tanzen. »Es ist ein Netz«, sagte er dann. »Wirst sehen.«

[ 9 ]
    Ein Sofa, auf dessen Rückenlehne der Arm eines Mannes lag, das war das Bild. Die Henkel hatte es ihm eingepflanzt, ein Mann vor dem Fernseher, sein Hinterkopf, seine Schultern und sein Arm.
    Hier war er nicht, Dorian sah ihn dennoch überall. Er mußte sich konzentrieren, damit das Bild verschwand. Sie hätte nicht von ihm sprechen dürfen, denn sie hatte auch Robin damit angesteckt, der letzte Nacht seinen Namen flüsterte, Kemper, Kempen Sie stellten etwas an in seinem Kopf, beide, sein Bruder und die Kommissarin. Sie zauberten Bilder hervor, die er nicht sehen wollte, und das durften sie nicht.
     
    Hier war kein Kemper, bloß Kinder waren hier. Eng aneinandergedrückte Kinder, ein Mädchen und zwei Jungs. Es war wieder so eine Wohnung, in der die Leute randalierten und es keine Liebe für die Kinder gab, eins der Löcher, wie sie es bald jeden Tag betreten mußten, um den Dreck zu riechen und die Angst. Die Kinder guckten ihn an, während im Flur die brüllenden Eltern sich gegenseitig kaltmachen wollten und dabei die Fäuste hoben wie drohende Affen. Ein Fernseher dröhnte, weswegen sie jetzt hier waren, ein ruhestörender Fernseher, den die Nachbarn gemeldet hatten.
    Dorian schaltete ihn aus und spürte die Blicke der Kinder. Aus dem Flur kam Nicoles Stimme, mit der sie die Eltern in Schach hielt, so ruhig wie ein stetiger Strom. Nicole war um die Dreißig, soviel er wußte, so alt wie die Henkel, und er müßte sich einmal ausrechnen, seit welcher Zeit sie nun schon auf Gesindel einredete, ohne zu schießen, müßte es in Tage umrechnen, in Stunden und Minuten.
    Es stank hier. Es stank nach Schnaps und Zigaretten, und nach Armut stank es auch. Als er den Stecker des Fernsehers zog, fragte das kleine Mädchen: »Nimmst du ihn mit?«
    »Ja.«
    »Aber dann können wir doch nicht mehr gucken.«
    Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, da lief etwas falsch. Er war Polizist geworden, um Pack zu bestrafen, aber doch nicht, um Kindern einen Fernseher wegzunehmen. »Morgen«, sagte er mit heiserer Stimme, »können eure Eltern den wieder abholen.«
    »Warum nimmst du ihn denn überhaupt mit, wenn wir ihn wieder abholen können?« Das kleine Mädchen hatte eine harte, böse Stimme, doch die Augen erwarteten eine Antwort auf alle Fragen dieser Welt.
    »Das ist halt so«, murmelte er – sollte er Vorschrift sagen? Das hätte sie nicht verstanden, er verstand es ja selber nicht.
    Er richtete sich auf. Die Kinder waren schmutzig und trugen alte Sachen. Robin lachte darüber; »Sei still«, murmelte Dorian, und das kleine Mädchen sagte streng: »Nein, ich darf mit dir reden.«
    Er spürte sein Herz rasen. Manchmal vergaß er, daß er nicht laut mit Robbi sprechen durfte, manchmal ging es schief. Das war mein Bruder, wollte er dem Kind erklären, aber du siehst ihn nicht. Niemand sieht ihn. Warum? Na schau, du siehst ja auch meine Leber nicht und meinen Magen. Wenn man mich aufschneidet, weißt du, dann sieht man ihn auch.
    »Vanessa«, schrie der Vater aus dem Flur. »Du sollst die Bullen nicht duzen.«
    »Mein lieber Freund«, sagte Nicole. »Ich möchte Ihnen dringend empfehlen, sich zu mäßigen.«
    Dorian schleppte den Fernseher in den Flur und hörte die Mutter der Kinder hysterisch lachen. Über den Rand des Fernsehers sah er nur ihr aufgedunsenes Asozialengesicht, das ihn an Billa Hufnagel erinnerte, mit der es genauso weit kommen würde, wenn sie noch länger hinterm Tresen stand.
    »Den kriegen wir doch eh wieder«, rief die Frau. »Letztens habt ihr uns das Radio weggenommen, das harn wir auch wiedergekriegt. Dafür zahlen wir doch keine Steuern, daß ihr euch auf unsere Kosten zum Möbelpacker umschulen laßt.« Sie sprang auf Dorian zu, als er den Fernseher abstellte, weil ihm plötzlich übel wurde von all der Last, die er trug. Den schweren Fernseher. Robin. Er hatte keine Kraft mehr, weil er schon jemanden mit sich schleppte, der ihn auspumpte und bald nichts mehr von ihm übrigließ.
    Die Frau sah aus, als wollte sie ihn schlagen, denn sie holte aus. Er wußte nicht, ob sie Robin jetzt wirklich töten könnte, wenn sie anfing, auf ihn einzuschlagen, denn das war etwas, worüber er sich noch keine Gedanken

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