Sterntaucher
vielleicht die kleinen Jungs, die zu ihr kamen und auf Mohrenköpfe deuteten, die sie in ein Brötchen quetschen wollten, damit es besser schmeckte. »Jeden Morgen kamen sie«, sagte sie schließlich. »Der Kleine war furchtbar vernascht und auch ziemlich laut, so ein hübscher kleiner Kerl –« Frau Manz seufzte leise. »Stimmt, er hieß Robin. Meine Tochter sagte, das wär ein amerikanischer Name. Was ist ihm passiert, Rauschgift?«
»Er wurde getötet.«
»Jesses, ja«, murmelte eine der alten Frauen an der Tür. Aber es heulte nicht mehr.
»Ich habe ihn seit damals nicht gesehen«, sagte Frau Manz. »Mit einem Mal waren die weg, kein Abschied, nichts. Aber meine Tochter wird Ihnen da mehr sagen können.«
Ina legte die Hände auf die Theke, kühles, glattes Holz. Plötzlich schien ein kleiner Sonnenstrahl den Laden zu erhellen, aber das bildete sie sich vielleicht nur ein.
»Ihre Tochter –«, fing sie an, und da begann Frau Manz schon heftig zu nicken und sprach die magischen Worte: »Sie war mit der Mutter befreundet. Wie hat sie es aufgenommen?«
»Ich bin auf der Suche nach ihr. Frau Kammer, die meinen Sie doch?« Ina atmete langsam ein.
»Ich kann mich an Namen so schlecht erinnern, nur an Gesichter. Sie war immer sehr blaß. Aber sie hatte wunderschönes langes, schwarzes Haar.«
»Ja«, sagte Ina.
»Es wird ihr damals nicht so gut gegangen sein, sonst hätte sie nicht drüben im Calypso gewohnt, kennen Sie das Hotel?«
Ina nickte. Sie kannte es seit einer Stunde. In einem muffigen Vorraum, der sich Halle nannte, hockten gestrandete Trinker und einsame Geschichtenerzähler, die einen ansprachen, um immer wieder von vorn zu beginnen, zumindest in Gedanken. »Wie ich Kind war«, fingen sie an und hörten nicht mehr auf. Nein, kein Mensch konnte sich an eine Frau mit zwei kleinen Jungs erinnern, das Personal von damals gab es längst nicht mehr.
Doch hier war Frau Manz in ihrem kleinen Laden, der die Zeit zu überdauern schien. Sie nahm einen Schokoriegel aus dem Regal hinter ihr und behielt ihn in der Hand als süßen Trost. »Das kann Ihnen meine Tochter auch alles erzählen, die hat früher da gearbeitet.«
»Wo finde ich sie?«
Frau Manz schrieb die Adresse auf und setzte einen Strich unter den Namen Sabine Klein. »Sie müssen sich nicht wundern«, sagte sie sachlich, »aber meine Tochter ist durch die Ehe an diesen Namen gekommen, sie ist nur unglücklicherweise eins dreiundachtzig groß.«
Die große Sabine Klein hatte wohl zu einer Zeit geheiratet, als sie noch den Namen des Mannes annehmen mußte. Ina schlug mit den Fingerspitzen aufs Steuer. Ein Gitarrensolo überschwemmte den Wagen, und die Bässe erreichten den Bauch. Sollte sie Tom je heiraten, wollte sie auf keinen Fall Czerwinski heißen und alle Naslang buchstabieren müssen.
Sie sah auf die Uhr; jetzt stand er an der Rezeption, um Zimmer zu vergeben, Einzel für die Nacht und Doppel stundenweise. Das Hotel, in dem er arbeitete, war nicht ganz so verloren wie das Calypso, es verirrten sich auch Geschäftsleute dahin, die mitten in der Nacht, wenn die Tagung mit einem Besäufnis geendet hatte, nach frischen Handtüchern und Blondinen krähten. Ihn störte das nicht, ihn störte kaum etwas, solange sein Leben überschaubar blieb. Am Morgen in der halbdunklen Küche war er wieder so unverschämt wach gewesen und fing an zu summen, kaum daß er seinen Kaffee roch. Das Radio lief, und mit dem Piepston der Nachrichten wußte sie, daß er jeden Politiker, der darin vorkam, murmelnd einen Armleuchter nennen würde. Sie wußte, daß er nach seinem zweiten Toast auf ihren Teller gucken und »Iß doch« sagen würde, wobei er leicht den Kopf schüttelte, weil es nicht normal war, morgens kaum zu essen. Gerade morgens. Wegen der Grundlage. Alles hatte seine Ordnung bei ihm, dienstags spielte er Fußball mit seinen Kumpels – er hatte keine Freunde, das Wort käme ihm bei Männern nicht über die Lippen, er hatte Kumpels – und mittwochs machte er Pläne fürs Wochenende. Heute morgen hatte er gefragt: »Was willste eigentlich?«
Alles – mehr halt – weiß auch nicht – »Es passiert so wenig«, sagte sie, »merkst du das nicht?«
»Was soll passieren? Ist doch gut, wenn nix passiert.« Er rührte in seinem Kaffee. »In deinem Job passiert schon genug.«
»Wirklich? Leichen und Lügen, darauf läuft’s raus, und wenn du es aufgedröselt hast, kommt die nächste Leiche, und du hörst genau dieselben Lügen.«
»Mmh«, sagte er
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