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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Politesse hat doch die Pistole nicht mehr.«
    Sie sah hoch. Das Volk kam immer näher. Als sie nach Thieles Puls fühlte, erstickte sie bald an dem unbändigen Wunsch, auf der Stelle loszuschreien: Ich bin keine Politesse, ihr Armleuchter, ich parke selber falsch.
    »Was ist?« Kissel stand über sie gebeugt, mit den Händen auf den Knien. Er sah angeschlagen aus. »Hat vielleicht was zerbissen, bevor wir ihn hatten.«
    »Könnte einen Herzanfall haben«, sagte sie. »Der Puls geht wie blöd.«
    »Ja, das ist aber jetzt sein Problem«, sagte Kissel. »Da haben wir nichts mit zu tun.«
     
    Sie hätte ihn sofort fragen sollen, ob er die Kammer kannte, jetzt zog sich alles wieder hin. Kreislaufkollaps, hatte der Notarzt vermutet, im schlimmsten Falle Herzinfarkt. Kissel hatte beleidigt gewirkt, als hätte Thiele ihm das persönlich angetan.
    »Hättest du geschossen?« wollte er im Wagen wissen. »Wie du die Waffe auf den gehalten hast, dacht ich einen Moment, jetzt ist Sense, jetzt knallt die los.«
    Sie sah aus dem Fenster. »Nein, egal was kommt, ich glaub nicht, daß ich je – aber eins sag ich dir, wenn du mich noch einmal vor allen Leuten anbrüllst, dann ist Feierabend, verstehst du?«
    »Ja was«, rief er, »der Kerl klappt zusammen und du stehst daneben wie ’n Ölgötze.«
    »Entschuldige mal, du hattest ihn, wenn ich mich nicht irre und überhaupt –« Sie schlug aufs Armaturenbrett.
    »Überhaupt was? «
    »Mich kotzt das manchmal an mit dir, ich meine, es gibt Kollegen, die benehmen sich nicht wie Prolls.«
    »Ja, ja.« Er lachte. »Lauf doch gleich zum feinen Ralfi und petze. Ist ja eh dein Liebling.«
    Sie hatte nichts erwidern können, weil sie sekundenlang nicht wußte, wen Kissel meinte. Da Hauptkommissar Stocker sich nicht duzen ließ, konnte sie sich auch seinen Vornamen nicht merken.
    Ralf, ja klar. Ralf wie Rolf, ob das ein Omen war? Rolf Manz stand über der Tür des kleinen Lebensmittelladens im Bahnhofsviertel, und sie wollte daran glauben, daß manche Dinge sich nicht änderten. Sie wollte nicht hören, daß drinnen jemand sagte, ach so, das Schild, das gehört noch zu den Vorbesitzern. »Wir sind jeden Morgen zu Frau Manz in den Laden«, hatte Dorian Kammer erzählt, »und haben uns Süßigkeiten gekauft. Die gehörte zur Familie.«
    Ina erwartete eine altmodische Klingel an der Tür, doch hatten sie dieses System, das aufheulte, sobald man über die Schwelle trat. Niemand hinter der Theke. Zwei alte Frauen in Türnähe hatten sich anscheinend vorgenommen, das Alarmsystem zu testen, denn sie liefen plaudernd auf und ab, was mit ununterbrochenen Heultönen quittiert wurde.
    »Unnerhalt!« sagte die eine, ging zur Seite, und es heulte. »Mein Sohn hat grad noch achthunnert netto.« Sie stampfte mit dem Fuß, und es heulte.
    »Kundschaft«, rief die andere, »wo ist dann die Mechthild hin?« Sie streckte sich, machte einen Ausfallschritt, und es heulte schlimmer als zuvor.
    Mechthild, war das Frau Manz? Lebte sie noch, oder war sie soeben an Herzrhythmusstörungen verstorben, verursacht durch den grauenhaften Lärm?
    Sie war dick. Langsam, das Leben eilte nicht, kam sie mit gefalteten Händen aus dem hinteren Teil des Ladens und sagte lächelnd: »Bittschön.« Eine Frau zum Liebhaben, deren Augen in dem runden, runzeligen Gesicht erzählten, daß sie noch immer an das Gute glaubte.
    Ina fragte nach Kaugummi, während es hinter ihr heulte. Die alten Damen erregten sich tänzelnd über den städtischen Verkehr.
    »Sparemint?« fragte Frau Manz, falls sie es war. Das Wort paßte nicht zu ihr.
    »Ja«, sagte Ina, was im Heulen unterging.
    Die Frau kümmerte das nicht. »Sind Sie Frau Manz?« fragte Ina.
    »Aber sicher.« Lächelnd reichte sie den Kaugummi herüber wie eine Oma ein Stück Kuchen.
    »Frau Manz, ich suche jemanden. Vor vielen Jahren haben Sie mal zwei kleine Jungs gekannt.«
    »Tausend kleine Jungs.« Die Frau hörte nicht auf zu lächeln. »Schwarze, gelbe, weiße.«
    »Aber einer kann sich noch sehr gut an Sie erinnern, er heißt Dorian. Sein jüngerer Bruder hieß Robin.«
    Jetzt verschwand das schöne Lächeln doch aus ihrem Gesicht. » Hieß? «
    »Ja.«
    Frau Manz faltete wieder die Hände über dem riesigen Bauch. »Dann lebt er nicht mehr.«
    »Nein«, sagte Ina, und hinter ihr wurde es schlagartig still. Sie zeigte ihren Ausweis und sagte: »Sie erinnern sich also an die beiden?«
    Frau Manz guckte lange auf den Ausweis, doch las sie nicht richtig und sah in Wirklichkeit

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