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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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ihn an mit leerem Blick. »In diesem Land ist ja am wichtigsten, daß den sogenannten Randgruppen bloß nichts passiert, die sind anscheinend wichtiger als normale Bürger. Lesen Sie doch mal Zeitung, die kriegen es doch hinten und vorne, die kriegen vom Sozialamt ihre Möbel und alles kriegen sie reingesteckt.«
    »Hinten und vorne«, sagte Kissel, und da streckte Belloff einen Arm aus wie ein Verkehrspolizist auf einer Kreuzung und sagte müde zu seiner Frau: »Laß, hat doch keinen Zweck.«
    »Rauschgiftsüchtige waren das«, rief Frau Belloff, »Penner und sonst etwas, die haben sich damit ihr Geld verdient. Die haben mitgemacht, und jetzt kommen Sie von der Mordkommission und plustern sich auf. Das waren Asoziale, hören Sie?«
    Ina sah auf ihre Fingernägel und wartete darauf, daß Kissel etwas sagte. Doch Frau Belloff sprach weiter. »Da hat sich dann mal irgend jemand totgespritzt, und jetzt kommen Sie plötzlich hierher, das ist doch nicht richtig.«
    Kissel ließ die Fingerknöchel knacken und sagte freundlich: »Da haben Sie aber ’ne richtig flammende Rede gehalten.«
    »Kennen Sie ihn?« Ina warf den Videoausschnitt, der das schmerzvoll verzerrte Gesicht Robin Kammers zeigte, Belloff in den Schoß. Der sah nicht lange hin. Fast sofort schüttelte er den Kopf.
    Sie stand auf, und als sie langsam um Belloffs Rollstuhl herumging, verspürte sie Lust, ihn umzukippen. »Gucken Sie genau hin. Sie müssen mir nicht sagen, was sie im einzelnen mit ihm gemacht haben, ich möchte nur von Ihnen wissen, ob Sie sich an ihn erinnern.«
    »Nein«, sagte Belloff, und seine Frau assistierte ruhig: »Der ist doch viel zu jung.«
    »Ja, dieser Asoziale wird da so zirka zwölf, dreizehn gewesen sein«, sagte Kissel munter. »Was meinen Sie?«
    Belloff schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie ihn wiedergesehen?« fragte Ina. »Danach?«
    »Nein, ich habe nichts gemacht. Andere vielleicht. Das ist zu lange her, ich weiß nichts.« Er bewegte den Kiefer, als hätte er eine heiße Kartoffel im Mund. »Ich weiß nur, daß Jungs nur ganz selten da waren.«
    »Sie mochten Frauen lieber?« Ina reichte ihm das letzte Foto, Robins Mutter, die Frau im Abendkleid. Belloff warf es auf den Boden.
    »Sie kennen sie«, sagte Ina.
    » Ja « , schrie er, »ja, ja.«
    »Wer ist das?« fragte seine Frau, und Ina sprach jene Worte, von denen sie geglaubt hatte, sie kämen nur im Fernsehen vor: »Sie stellen hier nicht die Fragen.«
    »Das ist die Katja.« Belloff schaukelte hin und her. »Was soll ich denn da sagen? Das war ein zweigeteiltes Schwert« – er keuchte – »mit der.«
    »Wenn er sich aufregt«, sagte seine Frau ruhig, »ist das Ihre Schuld.«
    »Frau Belloff«, sagte Kissel leise und legte einen Finger über die Lippen. Sanft sah das aus, doch seine Augen töteten sie.
    »Was ist mit der, wegen der sind Sie hier?« Belloffs Stimme klang jetzt lebhafter, beflissen, so wie sie bei allen Leuten klang, die glaubten, das Unheil zöge sich zurück. »So hat die nicht immer ausgesehen, nein, nein.«
    »Sondern?« Ina blieb stehen, weil sie merkte, daß ihr Hin- und Hergehen den Mann irritierte. Denk schön nach, alter Sack, laß dich nicht ablenken.
    »Später stand die so herum im feinen Kleid, ja, aber da war einmal eine Zeit, da hat sie nicht das Luder markiert, da war sie ganz klein.«
    Ina verschränkte die Arme. Da war eine Mauer, Katja, eine riesiges Ding, aber jetzt wird sie kleiner, kannst du es sehen? Wir reißen sie ein.
    Richard Belloff zeigte seine Zähne, zog die Oberlippe hoch wie ein kampfbereiter Hund. Langsam schlug er mit zwei Fingern gegen ein Rad des Rollstuhls, wodurch seine Worte etwas Rhythmisches bekamen. »Die dachte ja mal, sie wär ’ne ganz große Nummer, ja, die hat sich mal eingebildet, über uns zu stehen. Hat sich da halbnackt auf eine Bühne gestellt und herumgebrüllt und hat’s Musik genannt, der Kemper hat uns das doch mal gezeigt. Und was hat sie in der Zeitung denn gefaselt, hat uns für Spießer gehalten, alle rechtschaffenen Menschen. Wollte uns die Zunge rausstrecken und dabei auf unsere Kosten leben, so eine ist das doch gewesen. Kam sich vor wie sonstwas, und dann war sie nur noch ein Würstchen.« Er schwieg und schmeckte seinen Worten hinterher, und etwas Böses leuchtete in seinen Augen, Haß oder irrer Triumph.
    »Weiter«, sagte Ina, und weil er schwieg, wiederholte sie seine letzten Worte: »Nur noch ein Würstchen.«
    »Ja.« Belloff schloß die Augen. »Dann hat sie auch bloß noch

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