Sterntaucher
Blumenkohl. Solche Sachen halt, ich kannte ihre Namen nicht, dann hätt ich das ja gleich gewußt mit dem Dorian. Sie sagte immer nur, der Große und der Kleine. Ich wußte ja, daß die woanders lebten, die Buben, aber selbst dann hätt er sie nicht so beschimpfen müssen, das gibt’s doch nicht. Ich hab mich nimmer ausgekannt und hab sie auch gefragt nach ihm, aber sie hat nicht drüber reden können.«
Ina lehnte sich gegen den Tresen und rief es den Sitzen zu, diesen elenden Plüschsitzen hier: »Er hat sie beschimpft? «
»Freilich, richtig gedemütigt hat er sie, als hätt sie da nicht schon genug hinter sich.«
Merkwürdig, wenn kein Stein mehr auf dem anderen stand, wenn alles zu bröckeln begann.
»Sie wissen es«, sagte sie und hörte nur ein Seufzen neben sich.
»Sie kennen das Haus. Am Riederwald.«
Eine ganze Weile blieb es still, doch das machte nichts. Sie würde nicht gleich reden wollen, da mußte man warten können. Mußte es versuchen. Als Ina sich endlich zu ihr umdrehte, hatte die Frau ihre Strickjacke ausgezogen und hielt ihr ihren Arm entgegen. Brandwunden waren zu sehen, zerstörte Haut, Hautlappen, die fremd aussahen, als hätte sie Folie auf den Arm geklebt.
»Das geht bis zur Schulter hoch«, sagte sie. »Das ham’s mit mir gemacht, verbrannt und geschlagen halt. Ich war am Ende damals, war grad mit der Scheidung durch, hab die Wohnung verloren und häng so rum in einer Wirtschaft, da hab ich dann auch den Mann kennengelernt. Nett isser gewesen und sah fesch aus, der hat mich eingeladen auf ein Fest. Ich sag noch, na, so wie ich ausschau, kann ich auf kein Fest, macht nichts, sagt er, du strahlst von innen. Wissen’s was, ich hab’s ihm geglaubt, man hört’s halt doch irgendwie gern. Na, das war mir dann ein schönes Fest, aber was red ich, bin es doch selber schuld, weil ich damals so viel gesoffen hab. Haben Masken getragen, die Herren, und er, der mich geholt hat, der war nie dabei, bloß später ab und zu, wenn’s vorbei war. Mit Schnaps hab ich es ausgehalten, denn wissen’s, ich bin immer wieder hin. War immer so besoffen, hab das gar nicht richtig mitgekriegt. Die haben gut bezahlt, so war’s ja nicht, da hab ich mir die Straße erspart, wo simmer dann, hab ich gedacht, ich setz mich doch nicht zu den Pennern. Du spürst es ja dann auch nicht mehr – na ja, das Feuer schon, das spürst auch mit Wodka, und mit Pillen spürst du’s auch. Wollen’s net doch was trinken?«
Ina schüttelte den Kopf. Sie müßten sich doch jetzt setzen, müßten in einer Ecke sitzen und einander ansehen, doch standen sie hier am leeren Tresen einer leeren, traurigen Bar und guckten aneinander vorbei. Das war manchmal so, daß die Leute vor sich hinsprachen und es niemandem erzählten als dem Boden vor ihren Augen, niemandem als sich selbst, um sich zu vergewissern, daß es auch tatsächlich geschehen war.
»Sie«, sagte die Frau und deutete wieder auf das Foto der Kammer, das auf dem Tresen lag, »hat die Pillen genommen, die wärmen zwar nicht, aber tun auch ihr Gutes.« Sie ging zwei Schritte und kam wieder zurück. »Ich hab’s ja noch gut gehabt, weil ich denen schnell langweilig war, aber sie, die haben’s gehaßt. Haben immer wieder Liederl von ihr gespielt und sie angebrüllt: Na und jetzt? Jetzt bist ein Dreck, du Aas, jetzt ist Schluß mit lustig. Das war schick, wissen’s? Die hatten so an richtigen Bühnenstar erwischt und ham’s kleingemacht. Die haben sie wie ein Viech gehalten, und nur ein einziges Mal, wo ich dabei war, hat sie geschrien. Bloß einmal, aber das hat sich so angehört, daß ich gewußt hab, es wird auch das letzte Mal gewesen sein. Sie hat dann bloß noch diesen leeren Blick gehabt, hat’s mir dann auch gesagt, ich spür nichts mehr, sagt sie, ich hab den Körper nicht mehr. So hat sie’s gesagt, der ist weg.« Sie legte einen Finger auf das Foto und sagte: »Weißt – du hast immer so einen Moment, da ist gut. Da kannst nimmer. Da ist was am End.«
»Warum«, murmelte Ina, »ist sie da überhaupt hin?«
»Soviel ich weiß, ist sie damals aus einer Klinik weg, hat eine Entziehung abgebrochen. Sie hätte ja durchhalten können, nicht? Na, das sind so Fehler, die man macht im Leben. Nun wollte sie sich was verdienen, wieder arbeiten, Wohnung, wie man’s so will und braucht, aber da hat sie wohl keiner mehr wollen außer ihm, diesem Obermeier da –«
»Kempen«
Sie nickte nur. »Der hat ihr was versprochen, sagt, hier kommst über die Runden, hier
Weitere Kostenlose Bücher