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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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hatte er das Böse in Schach halten können bis zu jenem Tag, da Robin starb, denn zuvor war sein Leben in geordneten Bahnen verlaufen. Er ging zum Fußball, wo er Freunde traf, und wenn er eine Freundin hatte, verbrachte er die Abende mit ihr. Er hatte eine Wohnung und kam mit den Leuten aus, er hatte eine Stammkneipe, in der ihn jeder grüßte. Bis Robin starb, hatte er geglaubt, daß sein Leben friedlich war und angenehm. Doch jetzt traten Gespenster an sein Bett, Geister, die er schon als kleiner Junge sah, bei Kemper, als seine Mutter nachts in sein Zimmer kam mit blutender Stirn. Geister griffen ihn mit dürren Fingern an, er sah Augen im Dunkeln und ein irres Gelächter war um ihn herum. Er hörte Schreie.
    Und es wurde schlimmer jeden Tag und jede Nacht.
    Manchmal schrie es so laut in ihm drin, daß er die Stirn gegen die Wand preßte, um zu beten, doch fielen ihm keine Worte dazu ein. Sie hatten niemals gebetet früher, das hatte Katja nicht mit ihnen geübt. Er wußte ja noch nicht einmal, ob er würdig war zu beten mit dem Tod in ihm drin, mit Robin, der schrie.
    Jede Nacht hörte er ihn schreien, guck hin, guck hin, und obwohl er sich nicht erinnern konnte, was er damit meinte, glaubte er doch ein paar quälende Sekunden lang, daß sein Leben eine Lüge, eine Täuschung war.
    Er mußte sich ablenken. Früher, wenn er sich weh getan hatte, zeigte Katja ihm alles mögliche, das er längst kannte, doch tat sie so, als hätte er so etwas Tolles noch niemals gesehen – hey, wie findest du das? Guck mal.
    Guck doch, schrie Robin in ihm, guck hin.
    In Gedanken richtete er den Taubenschlag neu ein, weil er fest daran glauben wollte, daß es seine Bestimmung war, die Kneipe zu übernehmen. Die Hufnagels waren kaputt, er aber war jung und wollte nicht, daß sein ganzes Leben nutzlos war.
    Nutzlos wie das ihre. Nachdem sie damals das Blut aus Kempers Wohnung geputzt hatte, meinte er eine Weile, sie nicht mehr sehen zu dürfen, weil er immer nur Blut sah, wenn er an die Riederwald-Frau dachte. An ihren Wangen lief es hinab und beschmutzte die Lumpen, die sie trug, und einmal träumte er sogar davon, daß sie die Hände zum Himmel hob, um Klumpen voller Blut aufzufangen. Ekelhaft war das gewesen, darum schloß er auch die Augen, als er sie dann doch wieder traf. Inzwischen war er mit seiner Ausbildung fertig, nur fuhr er damals noch nicht mit Nicole Streife, sondern mit einem alten Mann, der immer nur von seinem Hund faselte, von einer Töle namens Bodo. Egal, was sie gesehen hatten, Verkehrstote oder zerlumpte, arme Kinder, heulende Trinker oder grinsende Dealer, er vergaß das sofort und quasselte von Bodo, der viel rechtschaffener war als jeder Mensch. Nach dem letzten Einsatz, der ganz in der Nähe war, sagte Dorian, daß er zu Fuß zur Wache zurückgehen wollte; »Biste bekloppt?« hatte der Typ gefragt, »mit meinem Bodo geh ich schon gern zu Fuß, aber doch net so.« Nun stand er vor dem Ramschladen mit den Kindersachen, bis sie aus dem Hotel Sylvia kam und ihn am Arm berührte. Er schloß die Augen, doch als er sie wieder öffnete, war kein Blut an ihr. Sie selber dachte wohl auch daran, weil sie ihn eine Weile ansah, bevor sie etwas sagte, so als würde sie in Gedanken noch einmal diesen Lappen auswringen, aus dem blutiges Wasser in den Eimer tropfte.
    »Ich hab dich gesehen«, sagte sie endlich. »Oben.«
    »Stehst du den ganzen Tag am Fenster?« Er fand, daß er eine Frau duzen könnte, die auf Knien lag und putzte.
    »Manchmal schon.« Sie nahm den Stoff seiner Uniform zwischen zwei Finger und murmelte: »Schick.«
    Er nickte. Sie sah nicht so aus, als ob sie das wirklich meinte.
    »Geht’s dir gut?« fragte sie, und weil sie immer noch mit gesenktem Kopf den Stoff befühlte, sah es aus, als erwarte sie die Antwort von der Uniform.
    »Sehr gut.« Er nickte. »Alles sehr gut.«
    »Ich hab dich vermißt.« Langsam hob sie den Kopf. »Ich warte jeden beschissenen Tag auf euch.«
    »So.« Er räusperte sich. Arme Sau, sie schien ja wirklich niemanden zu haben. »Auf Robin kannst du lange warten, der hat Besseres zu tun.« Er deutete auf das Hotel. »Wie wohnt man denn in diesem Stall?«
    »Willst du’s sehen?« Sie hob die Schultern. »Ist nicht besonders toll.«
    Das war noch geschmeichelt, es war jämmerlich. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Schrank, so lebten Penner. Kein Mensch konnte das aushalten, war er nicht längst halb tot oder so verlottert, daß er es nicht merkte. Rannte man hier nicht

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