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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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den Tresen.
    »Das kann nicht nur sein, das ist so«, hatte der Verkäufer gerade gesagt, jetzt schwieg er und spitzte die Lippen. »1st was?« fragte er dann. »Weißt du das nicht zu schätzen?«
    »Doch, doch«, murmelte sie und las die Zeilen erneut, … einander zu begegnen. Nicole würde vorschlagen: Krieg dich wieder ein.
    »Das ist die richtige, ’ne andere gibt es nicht.« Er tippte auf die Hülle. »Kammer, was ist das für ’ne Musik?«
    »Bißchen Jazz, bißchen Rock.« Sie sah auf die Uhr. Sie mußte hier weg, doch sie blätterte weiter. Keine Gedichte und keine Fotos mehr, nur die Daten der Produktion und die Namen der Musiker. Danksagungen, klar, Widmungen für Dorian und Robin und Christian.
    »Ich hab hier noch die definitiv letzte von Smashing Pumpkins«, sagte der Verkäufer.
    Sie nickte.
    »Soll ich die holen?«
    »Ja, mach mal.« Sie wollte das Booklet wieder in die Hülle schieben, als sie diesen Blitz spürte im Kopf. Im Kopf, von wo aus er direkt in den Magen fuhr wie bei einem großen Schreck. Im Magen, von wo aus er wieder etwas höher raste und das Herz stolpern ließ. Sie sah noch einmal hin, buchstabierte für sich allein wie ein Schulkind, das übt, und starrte auf das Blatt, das sie zwischen zwei Fingern hielt wie etwas, das tropfen könnte.
    »Sodele«, polterte die Stimme des Verkäufers. »Atemberaubend.« Er hielt ihr etwas entgegen, was sie nicht erkannte.
    »Ich muß weg.« Sie sagte es und blieb stehen.
    »Smashing Pumpkins.«
    »Ja, ja, ich muß –« Langsam schob sie die CD in die Tasche und ging zwei Schritte zurück. Sie wollte ihm sagen: Das kann nicht sein, das ist unmöglich, doch damit hätte er nichts anfangen können.
    Etwas mitleidig sah er sie an. »Du bezahlt sie aber schon noch, gell?«
    Draußen wollte sie rennen und kam doch kaum vom Fleck. Eine Politesse machte sich an ihrem Wagen zu schaffen, was nun aber im falschen Moment geschah. Was hatte sie alles tun wollen, früher, in Gedanken – lässig den Ausweis ziehen, um ihn dieser uniformierten Hausfrau unter die Nase zu halten, sehen Sie mal, so sieht das aus, wenn man bei der Truppe ist. Strafzettel zerknüllen und in den Rinnstein werfen, und wenn sie dann Zicken machte, zurückzicken, na klar, zetern, was das Zeug hielt, brüllen vielleicht, endlich einmal brüllen. Kissel konnte brüllen, sie nicht. Es lag nicht daran, daß sie nicht wollte, hin und wieder wollte sie ja schon, doch schien sich ihre Kehle dann zu verkrampfen, und es kam immer nur ein Krächzen heraus. Oder sie räusperte sich erst umständlich und wußte dann nicht mehr, was sie hatte brüllen wollen, was logisch war, weil Brüllen mit Anlauf gar nicht ging.
    Wortlos nahm sie der Politesse den Strafzettel aus der Hand und schloß den Wagen auf. Die blieb stehen, mit dem Block in der Hand, und wartete vielleicht auf ein Gewitter.
    »Ja, ist gut«, sagte Ina. »Haben Sie schön gemacht, lassen Sie mich jetzt fahren?«
    Sie fuhr zwei Ecken weiter und hielt wieder an, um eine der Sekretärinnen anzurufen. Mach jetzt bloß nicht Mittag, steh nicht schwatzend irgendwo herum. Ich gönn’s dir ja, nur jetzt nicht, weil – Die Sekretärin meldete sich sofort.
    »Sie haben die Ämterlisten?« Ina sah einen kleinen, grauen Hund auf den Wagen zukommen, den ein großer, grauer Mann versuchte einzufangen. Ein kleiner Mann mit einem großen Hund hatte Robin Kammer auf dem Friedhof gefunden.
    »Natürlich«, sagte die Stimme am Telefon. Welche von ihnen war es jetzt? Ina kniff die Augen zusammen; sie schwatzte jeden Tag mit ihnen und hatte sie alle vergessen.
    »Gut, ich brauche die Nummer vom Einwohnermeldeamt. Horten die da irgendwelche Familienstammbücher, wissen Sie das?«
    Der kleine, graue Hund beschnüffelte ihren Vorderreifen. Sie sah zu, wie er das dürre Beinchen hob.
    Die Sekretärin sagte: »Da fragen Sie mich was.«

[ 19 ]
    Nie hatte er als Polizist etwas Gefährliches erlebt. Nachts hielt er besoffene Autofahrer an und nahm Randalierer fest, am Tag holte er Selbstmörder vom Haken und suchte nach verlorenen Kindern und Greisen. Der Tod machte ihm nichts aus, er sah Lebende und Tote, und manchmal sah er keinen Unterschied. Doch nicht ein einziges Mal hatte er seine Schußwaffe gezogen, obwohl er tausendmal davon träumte. Immer wieder sah er die Mündung, die sich vor die Augen eines Täters schob, immer wieder seine ruhige Hand. Doch dazu war es nie gekommen, Polizeimeister Dorian Kammer hatte noch nichts Besonderes geleistet. Vielleicht

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