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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Kohlenstaub bedeckten Boden hinaus. Kurz darauf
     hörte Lamartine die Frau weinen. Er wartete, bis sie in ihr Zimmer zurückkam. Sie riß ihre Augen weit auf, ihre Hände zitterten,
     die Unterlippe hing kraftlos herab. Sie setzte sich auf ihr Bett und sah durch Lamartine hindurch.
    »Wo is der Junge?« fragte die Alte. Offensichtlich hatte sie alles verschlafen.
    »Wo is der Junge?« fragte die Alte wieder, ohne Lamartine anzublicken.
    Der Junge. Hatte er etwas mitbekommen? Hatte der Mörderihn als Zeugen beseitigt? Oder hatte er ihn als Geisel mitgenommen? Lamartine wußte, wer Mia umgebracht hatte. Und dieser
     Mann würde sich auf seiner Flucht durch eine fremde Stadt niemals mit einem Halbwüchsigen belasten.
    Die alte Frau weinte nun laut. »Der Junge!« stieß sie hervor. Ihr Oberkörper beugte sich wie bei einem Krampf.
    Jemand klopfte. Lamartine brauchte eine Weile, bis er wußte, woher das Klopfen kam. Dann ging er zum Bett der Witwe, reichte
     ihr die Hand und half ihr aufzustehen. Sobald sie stand und er sich sicher war, daß sie nicht ohnmächtig werden würde, ließ
     er sie los und schob das Bett zur Seite.
    Schon wieder wurde geklopft.
    Lamartine öffnete die Falltür, die in den Kohlekeller der Witwe Wilke führte. Der Kopf des Jungen erschien. Er lachte breit,
     seine Augen leuchteten, als er die Witwe erblickte. Er kletterte nach oben und fiel ihr um den Hals. Die Alte drückte ihn
     an sich. Sie küßte den Jungen, hielt dann inne, schob ihn von sich weg und schaute ihn an.
    »Haste meene Einweckgläser offjebrochen?« fuhr sie ihn an.
    Der Junge schüttelte heftig den Kopf. Die Alte wischte ihm mit dem Zipfel ihres Nachthemdes über den Mund. Sie sah sich die
     Stelle an und hielt sie dem Jungen hin. »Da sieht man’s!« schimpfte sie.
    »Det Glas war off!« verteidigte sich der Junge.
    Die Alte sagte ruhig: »Deine Schwester   ... es is ihr wat passiert!«
    »Die Gläser sind alle off«, sagte der Junge trotzig. »Ick hab’s heut abend entdeckt. De Falltür ha’ ick zujeschlagen, damit
     de mir nischt jleich siehst. Aber dann haste det Bett drüberjeschoben und bist einjepennt, ick hab nach ’ner Weile jeklopft,
     aber du hast nix jehört. Da ha’ ick mir eben in de Ecke jepackt und hab ooch jepoft. Alle sind se off. De Gläser.«
    »Lüg nicht!« wies ihn die Wilke zurecht.
    »Doch!« beharrte der Junge. »Alle. Die Jroßen. Die roten Ringe rausjezogen und de Deckel eenfach wieda droffjestülpt.«
    Lamartine kletterte die Leiter hinunter in den Keller. Er tastete den Mauervorsprung unter der Decke ab und fand einen Kerzenstummel
     und Zündhölzer. Als die Kerze brannte, fiel sein Blick sofort auf die in Reih und Glied stehenden Einweckgläser mit dem Pflaumenmus
     der Witwe. Lamartine trat – mit der Hand die Flamme vor dem Zug schützend – an das Regal heran. Die roten Gummiringe, mit
     denen die Gläser beim Einkochen luftdicht abgeschlossen worden waren, lagen zerrissen hinter den Gläserreihen.
    Lamartine hob einen Deckel ab. Er ließ sich leicht entfernen. Sein Zeigefinger stieß schon wenige Zentimeter unter dem Rand
     auf Widerstand. Mit zwei Fingern fischte Lamartine den Inhalt aus dem Mus. Es handelte sich um eine Rolle Zeitungspapier –
     oben und unten zusammengeknüllt. Er entrollte das vom Pflaumenmus durchtränkte Papier. Der Inhalt war unversehrt. Die Zeitungen
     enthielten Blätter: Notizen und amtliche Protokolle. Eines davon war von Schwarck unterschrieben, ein anderes trug einen Vermerk
     von Justizminister Simons. Lamartine hatte das gefunden, was Lecoq vergebens gesucht hatte: das Dossier des Wilhelm Stieber.
     
    Als Lamartine das Schließfach im Anhalter Bahnhof abschloß und den Schlüssel in seinem Strumpf verstaute, tippte ihm jemand
     auf die Schulter: Udo. Er war bleich, sein Unterarm schützte instinktiv die Bauchwunde, die ihm Lecoq beigebracht hatte.
    »Wie geht’s?« fragte Udo.
    »Ich bin auf der Suche nach dem Franzosen!« erklärte Lamartine. »Er hat Bjerregaard getötet.«
    Udo schien diese Mitteilung zu überraschen.
    »Willst du mir helfen, ihn zu finden?« fragte Lamartine.
    Udo schüttelte den Kopf. »Ich habe da einen reichen Freier aus Potsdam an der Angel   ...«
    Lamartine wurde laut: »Du hilfst mir, oder ich werde dich von Stieber vorladen lassen!«
    Udos Gesichtszüge wurden hart. »Der sitzt im Gefängnis, und Sie können mich mal! Was geht mich der alte Urning Bjerregaard
     an?«
    »Stieber ist frei!« sagte Lamartine. Udos Augen

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