Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
Vom Netzwerk:
verwelkten Blumenrabatten aus dem letzten Sommer – das alles erinnerte ihn an den Friedhof Père Lachaise.
    Vor Angst, seine Beine könnten einknicken, hielt Lamartine sich an der Kutsche fest, als er ausstieg. Ein Sekundant   – Lamartine wußte nicht einmal, ob es sein eigener oder der seinesGegners war – löste seine Hand von dem Metallgriff, der dem Kutscher zum Besteigen des Kutschbockes diente.
    »Warum sehen in Berlin alle Kutschen wie Särge aus?« fragte Lamartine leise.
    Niemand antwortete ihm. Simons öffnete das Futteral und entnahm die langläufige Pistole, die einen mächtigen Schlaghebel hatte.
     Der wie ein Türkendolch gebogene Abzug glänzte. Simons lud die Pistole.
    Warum habe ich mich nie mit Waffen beschäftigt, fragte sich Lamartine. Ein Polizist sollte sich mit Waffen beschäftigen und
     nicht mit den Enzyklopädisten und den Theorien über die richtige Anwendung der Vernunft.
    Simons zählte zwanzig Schritte ab und drehte sich um. Seine rechte Hand hob langsam die Waffe. Die Sekundanten entfernten
     sich gleichzeitig von Lamartine. »Möchten Sie nicht beten?« bellte Simons.
    Beten! Jeanne, achte auf unser Kind, es ist alles, was ich hinterlasse. Mia, sei klug, nutze den Vorteil des Dossiers, laß
     dir Geld von Stieber oder meinetwegen auch von Schwarck geben, eröffne eine Wäscherei oder eine Kohlenhandlung, aber um Gottes
     willen hör endlich auf damit, dich an Männer zu verkaufen! Und du mein Kind, werde ein kluger Mensch, lerne, die anderen richtig
     einzuschätzen, wiederhole nicht die Fehler deines Vaters, laß dich nicht von Idealen leiten, vertraue niemals auf die Vernunft,
     sie führt dich in die Niederlage!
    »Sind Sie soweit?« rief Simons.
    »Ich möchte nicht sterben!« sagte Lamartine leise.
    »Ich verstehe Sie nicht, Mann!« brüllte Simons.
    Lamartine gab sich Mühe, lauter zu sprechen, aber es war wie in einem Traum, in dem er um Hilfe schreien wollte, aber nicht
     konnte. »Bitte erschießen Sie mich nicht!« krächzte er schließlich.
    »Ihre Zeit ist um!« erklärte Simons mit donnernder Stimme.
    »Wen sollen wir benachrichtigen?« fragte einer der Sekundanten.
    Lamartine überlegte nur kurz. »Niemanden!« antwortete er.
    »Schließen Sie die Augen!« befahl Simons. »Ich ziele auf Ihr Gesicht. Dann sterben Sie schneller. Herzschüsse verzögern die
     Sache nur unnötig!«
    Lamartine schloß die Augen
.
»Notre père , qui êtes aux cieux   ...«
Warum tat er das? Er glaubte doch nicht an Gott.
    »...   qui êtes aux cieux.«
    »Beten Sie ruhig weiter, es wird Ihnen helfen. Ich drücke jetzt ab!«
    Lamartine glaubte, das Schnaufen seines Gegners beim Zielen zu hören. Er sah sein eigenes Gesicht, die geschlossenen Augen,
     die zitternden Lippen im Korn der Pistole, die Simons in der Hand hielt.
    Er hätte nie gedacht, daß es auf so banale Weise passieren würde. Eigentlich, fiel Lamartine plötzlich auf – und es war wie
     ein Innehalten der Zeit, eigentlich habe ich mir niemals eine richtige Vorstellung davon gemacht, wie ich sterben werde. Ob
     das ein Versäumnis war?
    Schieß doch endlich, preußischer Dickschädel! Merkst du denn nicht, daß ich soweit bin. Selbst du müßtest soviel Verstand
     haben zu wissen, daß man jemanden, der sich abgefunden hat, nicht warten läßt.
    Es klingelte.
    War das das Geräusch des Todes? Eine helle Glocke, ein Glöckchen eher, nicht einmal unangenehm. Aber es hieß ja auch, der
     Tod, wenn er erst einmal da ist, ist das angenehmste Erlebnis eines Menschenlebens.
    Die Glocke klingelte ein zweites Mal, diesmal noch heller, noch näher, noch drängender. Nein, so dürftig konnte die Dramaturgie
     doch nicht sein? Ein helles Glöckchen, schlechtes Theater. Aber vielleicht war das der passende Schlußakkord.
    Schon wieder diese Glocke, jetzt ganz nahe. Warum schießt er nicht endlich, dieser preußische Eber?
    »Was gibt’s?« brüllte Simons.
    Lamartine schlug die Augen auf. Neben Simons balancierteein Mann auf einer Laufmaschine mit Pedalen und einem monströsen Vorderrad. Ein Veloziped. Lamartine hatte solche Räder in
     Paris schon gesehen. Gecken befuhren damit die Trottoirs und erschreckten die Fußgänger. Der Mann, der sich etwas unsicher
     mit den Fußspitzen abstützte, war uniformiert. Atemlos erstattete er Bericht. »Oberstaatsanwalt Schwarck schickt mich. Stieber
     ist raus!«
    »Verflixt!« rief Simons aus und ließ die Pistole sinken. »Sofort wieder einfangen und ins tiefste Verlies

Weitere Kostenlose Bücher