Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
gibt keine sinnlosen Gemetzel mehr, sondern nur noch punktgenaue Messerstiche.«
»So was kostet doch Unsummen!« warf Lamartine ein.
»Die Kosten sind wirklich immens. Aber der Staat, der als erster Geld in einen derart arbeitenden Geheimdienst steckt, wird
bald Europa beherrschen. Und wenn Bismarck mich eines gelehrt hat, dann das: Wenn es um die Macht geht, fehlt es nie an Geld.
Mensch, Lamartine, wir werden alles vorhersagen können:jeden Aufstand, jede noch so kleine Truppenbewegung, jeden Rülpser
in irgendeinem Duodez-Kabinett.«
»Zu welchem Zweck?«
»Um die Regierenden zu schützen.«
»Aber das hat doch nichts mehr mit Polizeiarbeit zu tun.«
»Es ist Agentenarbeit, die moderne Form der Kriminalistik. Wir beschäftigen uns halt nicht mehr mit gemeinen Mördern, sondern
mit ganzen Völkern. Wir jagen keine Eierdiebe mehr, wir machen Politik ... Ach was: Geschichte machen wir!«
»Ich bin Kriminalist, Stieber. Ich mache Politik, wenn ich zur Wahl gehe. Das genügt mir. Im übrigen glaube ich, daß es Ihnen
gleichgültig ist, wem Sie mit Ihren Erkenntnissen helfen. Sie wollen bloß auf der Seite derer stehen, die die Macht haben.
Sie wollen gewinnen, Stieber.«
»Die, die die Macht haben, sind vielleicht auch die, die im Recht sind. Denn die Macht zu haben, bedeutet auch, daß man Ziele
vertritt, die durchsetzbar sind, Kollege Lamartine.«
Lamartine erhob sich.
»Ist das eine Absage?« fragte Stieber.
»Ich weiß, daß Sie schon einmal einen Menschen kaltblütig ermordet haben. Ich will nicht mit Ihresgleichen in einem Büro sitzen.«
Stieber wurde bleich vor Wut. Er schrie Lamartine an: »Ja, ich habe diesem Gaston Franc Gift gegeben. Es war das Gift, das
er meinen Landsleuten unters Essen hatte mischen wollen. Beim Diner wären über hundert Männer gestorben. Die besten meines
Landes, Lamartine. Sie hätten nicht anders gehandelt ...«
»Oh, doch!« fuhr Lamartine ihn an. »Ich hätte ebenso wie Sie verhindert, daß der Attentäter meine Landsleute vergiftet. Aber
ich hätte ihn einem ordentlichen Gericht ausgeliefert.«
»Sie sind naiv, Lamartine. Der Prozeß wäre so lange verschleppt worden, bis seine Freunde ihn befreit oder wir das Land verlassen
hätten. Ich kannte diesen Franc, er war mir ja schon während der Kämpfe in den Wäldern von Versailles begegnet. Er war ein
Partisan. Leute wie Franc geben nicht auf. Wenn ich ihn hätte laufen lassen oder in ein französisches Gefängnis gesteckt hätte
– was auf dasselbe hinausgelaufenwäre –, dann hätte ich mich meinen Landsleuten gegenüber schuldig gemacht: Sein nächster Anschlag gegen die Besatzungsmacht wäre
vielleicht geglückt. Franc war ein Fanatiker. Solche Leute sind mit geheimdienstlichen Mitteln kaum zu kontrollieren. Ich
hätte eine Zeitbombe aktiviert, Lamartine. Etwas anderes, als ihn zu beseitigen, blieb mir gar nicht übrig.«
»Zu beseitigen – das ist die Sprache der Kriminellen, die wir bekämpfen, Herr Stieber.«
»Sie sehen die Dinge nur aus Ihrem kleinbürgerlichen Blickwinkel, Lamartine.«
»Halten Sie es für kleinbürgerlich, einen Verdächtigen durch ein ordentliches Gericht aburteilen zu lassen, Stieber? Selbst
ein deutsches Feldgericht hätte mehr Gerechtigkeit in die Welt gebracht als Ihre Tat.«
»Dafür hatten wir keine Zeit. Es war noch Krieg!«
»Sie geben also zu, daß Sie Franc das Gift eingeflößt und ihn dann in den Bois de Boulogne verfrachtet haben?«
»Ich gebe zu, daß ich mir einen Spaß daraus gemacht habe, die Pariser Polizei zappeln zu lassen – mit einer Champagnerleiche
im Bois de Boulogne. Das war nicht sehr kollegial, Lamartine, pardonnez-moi! Aber ich konnte Ihnen den Attentäter ja schlecht
mit einem Zettel um den Hals vor die Tür legen.«
Lamartine wandte sich ab, Stieber widerte ihn an.
»Lieber Lamartine, mit Ihrer Hilfe habe ich die Spitze des gesamten französischen Widerstandes festgesetzt. Mit einem Schlag
und einem Kordon von nicht einmal fünfzehn Feldpolizisten. Das soll mir – das soll uns mal einer nachmachen!«
»Sie haben die Kriminalpolizei für Ihre schmutzigen Pläne mißbraucht.«
»Schmutzig waren sie nur aus Ihrer Sicht, und das ist nicht einmal verwunderlich, Lamartine, schließlich sind Sie Franzose!
Aber was den ›Mißbrauch der Kriminalpolizei‹ angeht: Haben Sie sich nicht auch schon oft gewünscht, daß Sie bei Ihrer Arbeit
einmal nicht durch diese verstaubte, inkompetente, ja zutiefst
Weitere Kostenlose Bücher