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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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aufrührerisch gelten konnten, melden sich andere Beweggründe für Stiebers Feldzug gegen die Berliner Halbwelt.
    Je mehr er sich mit den Gegebenheiten in den Rotlichtbezirken der preußischen Hauptstadt beschäftigte, desto klarer wurden
     ihm die ursächlichen Zusammenhänge des Phänomens mit der urbanen Gesellschaft des ausgehenden 19.   Jahrhunderts. Stieber erkannte die sozialen Gründe, die die Frauen in die Prostitution trieben, er erkannte auch, wer die
     wahren Nutznießer des Geschäftes waren: die wohlhabenden Freier und die geachteten Bordellbetreiberinnen, die Minderjährige
     mit gefälschten Kirchenurkunden versahen und somit dem Zugriff der Polizei entzogen, um sie als »Kostbarkeiten« den besonders
     zahlungskräftigen Kunden zu offerieren. Natürlich sieht der staatstragende Preuße auch eine Gefahr in der geheimen Neigung
     des höheren Beamtentums zum Milieu. Aber auch über diese speziellen Sichtweisen des Geheimen Staatspolizisten hinaus erkannte
     Stieber Gefahren der Prostitution, die in der modernen Kriminalistik eine Rolle spielen: »Die größte Gefährdung der Öffentlichkeit
     jedoch schien mir darin gelegen, daß beinahe alle durch Krankheit an der weiteren Ausübung ihres Gewerbes gehinderten Dirnen
     versuchten, ihren Lebensunterhalt stattdessen durch allerlei Vergehen, ja Verbrechen fortzuführen, welche sie entweder selber
     ausübten oder mit Hilfe ihrer zweifelhaften Gefährten, wodurch Kriminalität und Unsicherheit gleich mehrfach in die Höhe getrieben
     wurden.«
    Daß das mehr war als die biedermeierliche Angst vor einer unkontrollierten und für die gängigen moralischen Normen unzugänglichen
     Subkultur, zeigten Stiebers Folgerungen für seine polizeiliche Arbeit: »Ich hatte erkannt, daß man den Sittenproblemen einer
     heranwachsenden Hauptstadt nicht länger nur mit strafender Polizeigewalt beikommen konnte.«
    Stieber richtete eine Eingabe an König Wilhelm IV. und empfahl, die herrschende Polizeiaufsicht über das Dirnenwesen aufzulösen
     und stattdessen eine »Dirnen-Heilungscassa« einzurichten. Der Eingabe wurde entsprochen.
    Aber Wilhelm Stieber wäre nicht Wilhelm Stieber gewesen, wenn er nicht noch einen persönlichen Nutzen aus der Nähe zum Milieu
     gezogen hätte: »Gleichsam zum Danke konnten ich und meine Beamten – gleichfalls ein Novum in der bisherigen Polizeiarbeit
     – fortan mit oft unschätzbaren Informationen aus dem Kreis der Dirnen rechnen   ...«
    Stieber machte die Prostituierten zu Spitzeln – und sie berichteten fleißig. Nicht zuletzt, weil sich das Milieu von Kapitalverbrechern
     abheben wollte, die das Image verdarben und die Freier abschreckten. Für diese Amtshilfe revanchierte sich der pragmatische
     Stieber auf seine Weise: Er sorgte dafür, daß die Dirnen bei der Berliner Polizei den gleichen Schutz genossen wie jeder andere
     Bürger auch. Mit harten Strafen mußte rechnen, wer eine Prostituierte verletzte, sie bestahl oder betrog.
    Frau von T., die Bordellchefin, die Stieber bei seiner Razzia verschont hatte, zeigte sich erkenntlich und berichtete ihm
     von einem Freier, der vor den Mädchen damit renommierte, daß er mehr Staatsgeheimnisse wisse als der König von Preußen und
     daß die gesamte Presse vor ihm auf den Knien rutschte. Da der König damals tief verärgert war über regelmäßige amtlich geheime
     Meldungen aus Berlin in der ›Allgemeinen Augsburger Zeitung‹ und in der ›Bremer Weser Zeitung‹, nahm Stieber die Sache ernst.
    Er überführte durch sorgfältige Observation einen Offizier der königlichen Schloßwache, einen Leutnant Wagner, 25   Jahre und aus bester preußischer Offiziersfamilie: gutaussehend, Frauenfreund, Trinker, Spieler, hoch verschuldet. Wagner
     hatte die Bekanntschaft einiger Literaten und Zeitungsredakteure gemacht und seine finanzielle Notlage beklagt. Die Herren
     konnten ihm helfen. Der Leutnant fertigte nicht nur Abschriften der vom königlichen Büro ausgehenden Korrespondenz, er bestach
     auch einen Leibdiener, ihm persönliche Briefe des Königs zur Abschrift zu beschaffen. Als er zum ersten Mal an hochbrisantes
     militärisches Material gelangte, bot Wagner es unter falschem Namen dem französischen Gesandten an. Der beauftragte seinen
     neuen Agenten sogleich mit einem Spitzeldienst in derRheinprovinz und zahlte dafür 1000   Franken Vorschuß – weit mehr als die Presseleute Wagner jemals gezahlt hatten. Wagner brachte das Geld mit einem Mädchen der
     Frau von T. in

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