Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman
ausländischen
Mittelsmann erfuhr ich nichtsGeringeres, als daß von noch ungekannter Seite ein Anschlag geplant sei auf das Leben des neuernannten preußischen Ministerpräsidenten
Otto von Bismarck.«
Gründe dafür gab es genug: Bismarck bemühte sich, die von seiten des Königs in ihn gesetzten Erwartungen nicht zu enttäuschen.
So plädierte er leidenschaftlich für die Wiedereinrichtung des seit 1848 mehr und mehr aufgelösten preußischen Ständestaats
mit seiner antidemokratischen Verfassung und beschimpfte seine Widersacher als »besitzlose Neider«. Zudem ließ er keinen Zweifel
daran, daß er eine europäische Vormachtstellung Preußens gegen Österreich wenn nötig mit Waffengewalt erkämpfen wollte.
Bismarck und Stieber sind lange nicht mehr voneinander gewichen. Der eiserne Kanzler brauchte Stieber, der Polizist unterfütterte
seine komplizierten außen- und innenpolitischen Volten mit den nötigen geheimdienstlichen Informationen. Und Stieber war auch
skrupellos und loyal genug, um in einer massiven Form operativ tätig zu werden, wenn die Gegner Bismarcks sich allzusehr sperrten.
Der Machtmensch Bismarck wußte, was ein Stieber für ihn wert war – aber eine über das politische Kalkül und die damit verbundene
politische Freundschaft hinausgehende Sympathie hat er für den bleichen Beamten nicht empfunden. Dafür war der sonst so kontrollierte
Stieber ein bis zur Selbstaufgabe glühender Bewunderer Bismarcks: »Schonungslos trug ich meine Befürchtungen vor, nicht jedoch,
worin ich ihren Ursprung sah, denn eine Kritik an Worten und Taten des preußischen Ministerpräsidenten stand mir nicht zu.«
Bismarck war damals schon ganz der furchtlose Staatsmann seiner Kanzlerjahre. Er machte sich über Stiebers Warnung lustig
und nannte die Attentatsgerüchte eine »Gruselpostille«. Dennoch beugte er sich den Ratschlägen des Polizisten. Die hatten
– trotz fehlender Erfahrungswerte – durchaus schon die Raffinesse von Personenschutzmaßnahmen im Zeitalter des internationalen
Terrorismus. Stieber entwickelte täglich wechselnde Routen von den Privaträumen zum Büro. Er riet Bismarck dringend, statt
seines bekannten Wagens Mietkutschen zu benutzen und anstatt seines gewohnten Hutes wechselnde Kopfbedeckungen zu tragen,
auch mal ohne Hut zu fahren und sich am besten Haupthaar und Bart jeweils anders frisieren zu lassen.
Zuerst sträubte sich Bismarck noch gegen die für seine Begriffe grotesken Vorkehrungen, dann aber ließ er dem eifrigen Stieber
freieHand. Der bestellte bei einem Berliner Schneidermeister eine lebensgroße Puppe, der er die von Bismarck bevorzugten Kleidungsstücke
überzog. Die Puppe wurde in Bismarcks Wagen gesetzt, der dann zur üblichen Zeit die übliche Route fuhr, während Bismarck in
Mietkutschen auf Umwegen ins Amt gelangte.
Schon nach wenigen Tagen geschah es. Ein Mann trat an den Wagen heran und schoß der Puppe in die Stirn. Der Attentäter wurde
von zivilen Beamten, die Stieber am Rand der Strecke postiert hatte, überwältigt und festgenommen. Er entpuppte sich als ein
Anhänger des russischen Revolutionärs Bakunin. Da der Attentäter gebürtiger Österreicher war und Bismarck auf keinen Fall
öffentliches Aufsehen wollte, wurde er wegen »Gefährdung der Öffentlichkeit« heimlich über die Grenze abgeschoben.
Vielleicht hat Stiebers Einfallsreichtum oder das für einen Polizisten damals unübliche Bestreben, nicht nur vorzusorgen,
sondern den Gegner geradezu herauszufordern, Bismarck erst auf die Idee gebracht, aus den Talenten des Kriminalisten Kapital
zu schlagen. Jedenfalls ließ er Stieber zu sich kommen und fragte ihn, ob es zu den Pflichten eines Polizeidirektors gehöre,
sich außerhalb seiner Amtsgewalt umzutun und ob er noch über »Verbindungen ins Ausland« verfügte. Als Stieber zögernd zugestand,
er habe noch gewisse Kontakte, kam Bismarck erstaunlich schnell zur Sache. Selbst der abgebrühte Stieber war einigermaßen
überrascht ...
Der preußische Ministerpräsident erklärte ihm, er habe Aufgaben für ihn, für deren Erledigung eine Zwangspensionierung nützlich
sei, da sie den Gegner täusche. Als der ahnungslose Stieber wissen wollte, mit welchem Gegner er es zu tun bekomme, erhielt
er eine verblüffende Antwort: Bismarck erwartete von ihm, daß er Österreich auskundschaften sollte – vor allem dessen Pläne
im Kriegsfall. Er sah eine »prophylaktische Ausforschung des lieben
Weitere Kostenlose Bücher