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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Nizza durch und tischte dem Gesandten Märchen auf. Anschließend offenbarte er sich dem russischen Gesandten
     als Agent der feindlichen Franzosen und bot ihm an, jeden Auftrag, den er von den Franzosen bekam, sogleich den Russen auf
     den Tisch zu legen. Der kleine Leutnant der Schloßwache war internationaler Doppelagent geworden.
    Stieber griff sofort zu, als er die Tragweite des Falles erkannte. Wagner – ganz untadeliger Preuße – zeigte Reue, aber auch
     Stolz, endlich keine Schulden mehr zu haben. Der Leutnant wurde zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Da der König aber
     Angst vor den weitreichenden Pressekontakten seines Offiziers hatte, wurde Wagner kurzerhand wieder auf freien Fuß gesetzt.
    Die Angelegenheit gab dem Hof zu denken. Und so kam Stieber zu einem Auftrag, dem er offensichtlich pflichtgemäß, aber mit
     wenig Begeisterung nachging. Um zukünftig einen neuen Fall Wagner zu verhindern, sollte er gegen Wucherer vorgehen, die von
     Offizieren überhöhte Zinsen nahmen. Er erhielt dafür reichlich Mittel aus der königlichen Privatschatulle und weitgehende
     Freiheiten zur »geräuschlosen Tilgung«.
    Die konnte damals so aussehen, daß der Gläubiger erst einmal von der Polizei visitiert wurde, daß der Beamte ihn also in Uniform
     aufsuchte, was den um ihren guten Ruf besorgten Geschäftsleuten alles andere als lieb war. Viele Gläubiger verzichteten schnell
     auf die Zahlungen, und viele Schuldner aus dem Offizierscorps bedankten sich mit Zuwendungen bei der Polizei für den günstigen
     Vergleich – eine Methode, die Stieber ausdrücklich verurteilte, während er Zwangsmaßnahmen gegen Wucherer unterstützte.
    Bis 1857 war Stieber mit Schuldentilgung beschäftigt – dann kam es zu einem folgenschweren Zwischenfall, der ausgerechnet Stiebers
     oberstem Dienstherren das Leben kostete. Der legendäre Polizeipräsident Hinckeldey stürmte in vorderster Front einen Spielclub
     im vornehmen Bezirk Tiergarten. Er geriet mit dem Betreiber, einem Herrn von Rochow-Plessow, aneinander, wurde von dem als
     Spitzel und Dieb bezeichnet und bezeichnete diesen als Verbrecher am Staat, was den Glücksspielchef so aufregte, daß er den
     Polizeipräsidenten zum Duell forderte und ihn wenig später im Beisein Stiebers erschoß.In dem Trubel dieser Ereignisse gelangte Stieber – quasi als Nachlaßverwalter – in den Besitz einer privaten Schatulle Hinckeldeys.
     Obenauf lagen die Liebesbriefe einer französischen Agentin des Toten, unten lagen die Dossiers über hohe und höchste Repräsentanten
     des Staates   ...

 
     
    6.   Luftige, politische Höhen: Der deutsche Nachrichtendienst
     
    Am 8.   10.   1862 betrat ein Mann die politische Bühne Preußens, mit dessen Schicksal sich die zweite Karriere Stiebers so eng verband, daß
     seine erst 1978 erschienenen Lebenserinnerungen den Titel ›Spion des Kanzlers‹ trugen. Dieser Mann hieß Otto Bismarck.
    Bismarck war preußischer Gesandter in Paris und in St. Petersburg gewesen. 1851 bis 1859 fungierte er als Vertreter Preußens beim Deutschen Bundestag in Frankfurt am Main, wo er als strammer Konservativer auffiel
     und verbissen die preußischen Interessen gegen die österreichische Präsidialmacht durchsetzte. König Wilhelm I. machte ihn
     zum Ministerpräsidenten und Außenminister, weil er einen starken Sachwalter wollte, der sich gegen das Parlament durchsetzen
     konnte.
    Der König lag mit liberalen Politikern in einem erbitterten Streit um eine Heeresreform. Während Wilhelm I.ein Königsheer
     mit dreijähriger Dienstzeit wie zu Zeiten des »Alten Fritz« wollte, bestanden seine Gegner auf einer zweijährigen Dienstzeit
     und einer halbmilitärischen Landwehr. Die Auseinandersetzung eskalierte. Zwei Mal wurde das Abgeordnetenhaus aufgelöst und
     neu gewählt, dennoch änderten sich die Mehrheitsverhältnisse kaum und das Parlament verweigerte weiterhin seine Zustimmung
     zu den Kosten der Heeresreform in Höhe von sechs Millionen Talern.
    In dieser Notlage übertrug der König Bismarck weitgehende Rechte. Er wollte einen »kurbrandenburgischen Vasallen«, der ihm
     die Liberalen vom Leib hielt. Bismarck erschien ihm stark, verschlagen und königstreu genug für diese Aufgabe. Und Wilhelm
     Stieber sollte für Bismarck die Aufgabe erfüllen, die dieser für das Königshaus erfüllte. Stieber nahm alte Kontakte auf und
     verfuhr nach bewährtem Muster: Er sammelte alle Informationen, an die er kommen konnte: »Über einen früheren

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