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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Deutschland stammte und sich erst in Frankreich den französischen Namen Cherval
     zugelegt hatte, von mir in Gegenwart eines hohen französischen Polizeioffiziers verhört, wobei er eine Reihe von Kumpanen,
     darunter auch den später vom preußischen Staatsgerichtshofe wegen Hochverrates verurteilten Schneidergesellen Tietz, als führende
     Mitglieder des Kommunistenbundes in Frankreich denunzierte. Zu diesem Verrat wurde Cherval durch mein Versprechen veranlaßt,
     sein auf mich verübtes Attentat nicht strafrechtlich zu verfolgen.«
    Stiebers Spitzeleien in London und Paris – er selbst nannte seine Aktivitäten in neutraler Amtssprache »Recherchen« – ermöglichten
     es den Kriminalbehörden, alle in Deutschland lebenden Mitglieder des Kommunistenbundes festzunehmen. Stieber: »...   darunter Dr. jur. Becker, später Oberbürgermeister zu Köln, Schriftsteller Freiligrath, Literat Bürgers, Zigarrenmacher Röser,
     Dr. med. Daniels, Dr. med. Jakoby, Dr.med. Klein   ...« Die Verhandlung gegen die zwölf Beschuldigten fand vom 4.   Oktober bis zum 12.   November 1852 am Assisenhof (Schwurgericht) zu Köln statt, dauerte also volle fünf Wochen und zeigte schon gewisse Eigentümlichkeiten ähnlicher
     politischer Prozesse unserer Tage. Stieber: »...   wobei die Angeklagten immer wieder versuchten, den Prozeßablauf mit juristischen Finten zu verzögern. Solches ergab sich auch
     ganz offen aus ›Kassibern‹, welche unter ihnen trotz aller Bewachung kursierten   ... mehr als einmal vermochten die gebildeten Angeklagten den ermatteten Richtern eine Runde abzugewinnen. Vom ersten Augenblick
     an ließ die Polizei keinen Zweifel, wer Herr im Lande sei. Sie umzingelte das ganze Gerichtsgebäude, und ihre Sicherheitsvorkehrungen
     waren unerbittlich   ... Am Portal griffen die Wachposten jedermann, ausgenommen die Richter, nach Waffen ab, und auch im Gerichtssaal wurden immer
     wieder körperliche Visitationen vorgenommen.«
    Der Bund der Kommunisten war durch Stiebers Coup aufgewacht. Man wußte nun, daß der Staat nicht nur zu plumper, offener Repression,
     sondern auch zu raffinierter Konspiration fähig war, wenn er sich bedroht fühlte. Die unversehrten Führer des Bundes betrieben
     Schadensbegrenzung. Marx und Engels versuchten von London aus, ihre Kameraden zu entlasten.
    Aber Stieber hatte längst Wind von der Aktion bekommen. Er schaltete sich in das Kommunikationsnetz des Bundes ein, was damals
     nichts anderes hieß als: Er fing Briefe zwischen London und Köln ab: »...   welche keinen anderen Zweck hatten, als falsche Zeugen und Beweisstücke zugunsten der Angeklagten herbeizuschaffen und die
     öffentliche Meinung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Es richteten sich die Anstrengungen der Zentralbehörde zu London vor
     allem auf eine Beseitigung des ehemaligen Emissärs Haupt, welcher zum Verräter geworden, indem er dem Gericht die wichtigsten
     Verbindungen der Kölner Verschwörer zu der Londoner Zentrale preisgab. Auf diesen Kronzeugen wurde unablässig mit Morddrohungen
     eingewirkt,und es gelang den Londoner Kommunisten endlich, ihn so zu verängstigen, daß er kurz vor dem Beginn der Kölner Hauptverhandlung
     nach Amerika flüchtete, so daß seine Aussage vor Gericht unmöglich wurde.«
    Marx und Co.hatten gelernt, sie arbeiteten jetzt nicht nur mit ähnlichen geheimdienstlichen Strategien wie Stieber, sie schossen
     sich auch auf ihren Jäger ein. Die Opposition betrieb in den Anfangsgründen das, was man heute Spionage-Abwehr nennen würde.
     Dazu gehörte auch gezielte Desinformation (ein Mittel, das Stieber in seiner gesamten Laufbahn dosiert und erfolgreich benutzte).
     So wurde von London aus das Gerücht ausgestreut, das Kölner Belastungsmaterial sei von deutschen Stellen gefälscht worden.
     Die Urteile fielen dennoch drakonisch aus: Rösner und Bürgers wurden wegen versuchten Hochverrates u.   a. zu je sechs Jahren verurteilt, Dr. Becker bekam fünf Jahre Zuchthaus, was damals Einzelhaft unter unmenschlichen und oft
     genug tödlichen Bedingungen bedeutete.

 
     
    4.   Neue Dimensionen – der Ausputzer des Staates
     
    Im Januar 1853 wurde Stieber die Direktion der »Sicherheitsabteilung« beim Berliner Polizeipräsidium übertragen, und vom König Friedrich
     Wilhelm IV. persönlich wurde er mit der Niederschrift seiner Erfahrungen bei der Verfolgung der Verschwörer in England, Frankreich
     und Deutschland beauftragt. Der Bericht wurde unter dem Titel ›Die

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