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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Fehltritt der Schwester – und schon isser der Hurensohn, wa!«
    »Wieso Sohn?« fragte Lamartine. »Er ist doch Ihr Bruder.«
    Sie winkte ab. »Dat vastehn Se nich. Sie sind eben ’n Ausländer   ...«
    Doch Lamartine verstand sehr wohl: Der Junge war nicht ihr Bruder – dazu war die Witwe wirklich zu alt, der Junge war Mias
     unehelicher Sohn, und die Familie tat Fremden gegenüber so, als seien die junge Frau und der Junge Geschwister. Gerne hätte
     Lamartine Mia das Gefühl gegeben, daß er ihre Not verstand, daß er sogar verstand, daß sie, um ihrer Mutter und dem Jungen
     zu helfen, auf den Strich gegangen war. Aber Lamartine wußte nicht, wie er sich verständlich machen sollte.
    »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen könnte«, sagte er schließlich. »Ich besitze zwar nur das Geld, das ich für meinen Aufenthalt
     hier dringend benötige, aber vielleicht könnte ich Ihnen auf eine andere Art helfen. Ich bin geschickt und könnte Ihnen und
     der Mutter zur Hand gehen   ... Zum Beispiel, wenn Sie morgens die Kohlen in den Laden schleppen.«
    Sie blinzelte, musterte ihn, und sagte dann: »Vagessen Se dette, Herr Lamartine! Wenn der Kriminaler mitkriegt, dat wir weiter
     mit Ihnen zu tun ham, bestellt er mir aufs Präsidium und läßt mir vom Polizeiarzt visitieren – wejen der französischen Krankheit,
     wenn Se vastehen?«
    »Der französischen Krankheit?« fragte Lamartine. »Was ist das denn?«
    Sie drehte sich zur Wand und brummte: »Jute Nacht, der Herr!«
    Lamartine hätte gerne erfahren, was für eine Krankheit aus seiner Heimat es sein könnte, die unter den Berliner Prostituierten
     grassierte, aber die Haltung der jungen Wilke gebot ihm, sie allein zu lassen. »Gute Nacht!« sagte er und wandte sich der
     Tapetentür zu.
    Er hatte die Tür schon geöffnet, als das Bett knarrte. »Mein Herr!« sagte die junge Wilke laut. Lamartine drehte sich um.
     Sie saß aufrecht im Bett und knotete ihre Haare zu einem Dutt. »Wieviel Jeld ham Se noch?«
    Lamartine war überrascht. »Nur soviel, daß ich noch etwa acht bis zehn Tage in Berlin bleiben kann   ...«
    Sie lächelte plötzlich, es war kein versöhnliches Lächeln, das bemerkte Lamartine sofort. Das Lächeln Mias war herausfordernd
     und frech. »Aber der Kriminaler hat doch jesagt, Sie soll’n aus Berlin vaschwinden, Herr Lamartine   ...«
    Lamartine nickte.
    »Dann brauchen Se och nich det janze Jeld«, erklärte Mia. »Sie sind doch schon lange unterwegs, wa? Wie lange haben Se keene
     Frau mehr jehabt?«
    Lamartine wollte etwas antworten, aber sie ließ ihm keine Zeit dazu: »Ick mach’s Ihnen normal und französisch.«
    »Französisch?« fragte Lamartine erschrocken. Das mußte etwas mit dieser rätselhaften Krankheit zu tun haben, die wahrscheinlich
     die deutschen Soldaten nach Berlin eingeschleppt hatten. »Lieber deutsch«, sagte er schnell und trat ans Bett.
    Sie half ihm aus den Hosen.
    »Und Ihre Mutter?« fragte Lamartine noch.
    »Die hat doch jesaacht, ick soll mit Ihnen über Ihre Reisekasse sprechen!« antwortete die Frau. »Und wenn meen kleener Bruder
     durchs Zimmer muß, stecken Se den Kopf unter de Decke!«
    Lamartine schlüpfte zu ihr ins warme Bett.
     
    In aller Frühe beglich Lamartine seine Rechnung. Mia hatte ihn gebeten, sich an ihre Mutter zu wenden. Lamartine war das unangenehm,
     aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als in die Küche zu schleichen, wo die Wilke Malzkaffee aufbrühte, und ihr das Geld
     auf den Tisch zu legen, bevor der Sohn des Hauses dazukam und Fragen stellte. Die Alte wischte ihre Hände an der Schürze ab
     und zählte nach, ohne dabei Lamartine anzusehen.
    »Keen Französisch?« fragte sie tonlos.
    Lamartine hätte in den Boden versinken können vor Scham. »Nein!«
    Die Witwe steckte das Geld unter die Schürze. Sie schenkte ihm Malzkaffee in eine Schüssel und bröckelte Brot dazu. Lamartine
     streute braunen Zucker darüber. Die Alte kehrte ihm den Rücken zu und widmete sich wieder stumm ihrer Küchenarbeit.
    »Waren Se denn mit Mia zufrieden?« murmelte sie nach einer Weile.
    Lamartine sprang auf, packte seine Tasche, warf sein Reisecape um und rannte hinaus. Die Wilke folgte ihm zur Haustür. Als
     er schon im Treppenhaus war, rief sie ihm hinterher: »Wenn Mia Se anständig bedient hat, so besteht keen Grund nich, nich
     nochmal auf een Viertelstündchen wiederzukommen.«
    Eine Ratte schoß hinter dem Mülleimer hervor und an Lamartines Füßen vorbei in den Keller.
    Draußen war es

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