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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Münzen auf den Tisch. Es würde nicht reichen, um eine Pistole zu kaufen und Bjerregaard zufriedenzustellen. Und daß er
     in seiner Hose eine eiserne Reserve eingenäht hatte, mußte Udo ja nicht wissen. Der Junge zählte nach, er wurde mürrisch.
     »Das reicht nicht!«
    »Mehr habe ich nicht!«
    Lamartine wartete gespannt: Jetzt würde sich zeigen, ob er mit seinen Vermutungen richtig lag   ...
    Udo schob die Münzen zusammen, ließ sie über die Tischkante in seine Hand fallen und steckte sie weg. Es war so, wie Lamartine
     vermutet hatte: Das Geld war zweitrangig bei Udos Geschäft.
     
    Bjerregaard war ein gebückter Mann mit lichtem, aber immer noch strohgelbem Haar. Seine Augen mußten einmal leuchtend blau
     gewesen sein, jetzt wirkten sie wässrig und grau. Er erwartete Udo hinter einem Erker des Bahnhofsgebäudes. Bjerregaard reichte
     Lamartine die Hand, ohne ihm in die Augen zu sehen.
    Es war Udo, der als erster das Wort ergriff: »Nun stellt euch nicht an wie zwei alte Tucken, die sich nach zwanzig Jahren
     wieder über den Weg laufen!«
    »Udo, bitte!« zischte Bjerregaard, er schämte sich vor Lamartine.
    Lamartine wußte, daß es an ihm lag, den Mann zum Reden zu ermuntern. »Udo sagte, Sie kennen Wilhelm Stieber?«
    Bjerregaard sah auf. »Wir sind im gleichen Alter.«
    »Aber Stieber ist erst Anfang fünfzig!« entgegnete Lamartine überrascht. Bjerregaard schien noch kleiner zu werden, er wußte
     nicht mehr, wohin mit den Händen.
    Ein junger Mann in Udos Alter trat hinzu, sein Gesicht war pockennarbig. Ohne die anderen zu grüßen, redete er auf Udo ein:
     »Der Graf is wieder da. Er will drei Jungs mitnehmen. Laß die beiden Alten! Komm mit mir, da verdienste det Dreifache und
     wat zu trinken und zu essen jibt’s och!«
    »Verschwinde!« fuhr Udo ihn an. Der Pockennarbige musterte Lamartine von Kopf bis Fuß, dann sagte er leise: »Ick wollte Ihnen
     nich zu nahe treten, mein Herr!«
    Er verschwand, und Lamartine wandte sich wieder Bjerregaard zu: »Wo können wir in Ruhe reden?«
    Bjerregaard und Udo sahen sich an. Udo zuckte die Achseln. Dann schlug Bjerregaard vor, in seine Wohnung zu gehen. Lamartine
     überlegte. Mit Udo würde er fertig werden,der Junge wog mindestens zwanzig Kilo weniger als er, und Bjerregaard stellte keine Gefahr für ihn dar. Lamartine willigte
     ein.
     
    Bjerregaard wohnte im Untergeschoß der Friedrich-Wilhelm-Universität. Als Pedell hatte er eine kleine Dienstwohnung. Er zündete
     eine Spirituslampe an und führte seine Gäste von der Loge in sein Zimmer. Der Hausherr nahm auf dem Bett Platz und legte stumm
     die Hände in den Schoß.
    Lamartine sah sich um. Neben dem Schrank hing eine Federzeichnung. Sie zeigte eine Strandlandschaft, die Lamartine skandinavisch
     erschien. Bjerregaard, der Lamartines Blick bemerkte, sagte: »Das ist der Kamrol-Fjord in Südschweden. Ich bin in der Nähe
     geboren. Meine Eltern sind nach Stockholm gezogen, als ich fünf Jahre alt war.« Dann schaute er verängstigt zu Udo hinüber,
     und als der ihm ermunternd zunickte, fuhr er fort: »Meine Eltern waren arm. Als Fischer konnte mein Vater nicht leben, weil
     er kein eigenes Boot besaß und immer darauf angewiesen war, daß ihn Bootsbesitzer anheuerten. Sobald die Heringe dünner wurden,
     ließen sie meinen Vater an Land zurück. Als meine Mutter mit dem vierten Kind schwanger war, gingen wir nach Stockholm. Dort
     hatte der Cousin meiner Mutter eine Stelle in einer kleinen Tabaksfabrik ergattert. Er war innerhalb eines Jahres zum Vorarbeiter
     geworden. Von seinem Wort hing es ab, ob ein Arbeiter eingestellt wurde oder nicht. Meine Mutter redete ihm zu, und er versprach,
     sich dafür einzusetzen, daß mein Vater eingestellt wurde. Am Anfang lief alles gut, dann aber wurde der Cousin krank, und
     er verlor seine Arbeit. Dem Vater ging es unter dem Nachfolger schlecht. Er arbeitete sich krumm, aber er bekam von Monat
     zu Monat weniger Lohn für seine Arbeit. Schließlich fanden sie einen Vorwand, ihn zu entlassen. Es reichte nicht mehr für
     mich und meine Geschwister. So schloß ich mich einem durchreisenden Dachdeckergesellen an, der mir versprach, im Ausland Arbeit
     für mich zu finden. Damals war ich fünfzehn Jahre alt.«
    Lamartine seufzte. Er fragte sich, warum man ihm diese Einleitung zumutete. Udo, der Lamartines Ungeduld zu spüren schien,
     schob ihm eilig einen Stuhl hin. Der Franzose nahm Platz. Bjerregaard erhob sich schwerfällig und ging zur Tür. Er

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