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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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»Und meine Familie …«, begann er mit zittriger Stimme, fing sich jedoch sogleich wieder. »Meine Familie hat mich verlassen. Erst dadurch war es mir überhaupt möglich, mich von meinen Ängsten zu befreien. Natürlich liebe ich sie, und das werde ich auch immer tun, aber du hast selbst gesagt, dass ich ohne sie besser dran bin. Wenn man mal von Gerrit absieht, stimme ich dir zu, dass all diese Menschen einmal eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben gespielt haben. Aber mein Leben hat sich geändert, Stefan. Also bitte ich dich, sie zu verschonen. Wenn ich das alles richtig verstehe, geht es hier doch ausschließlich um uns beide.«
    Fanta hob nachdenklich die Augenbrauen, während er Tom betrachtete. »Na ja«, meinte er nach einer längeren Pause, »was Letzteres betrifft, gebe ich dir völlig recht. Was das andere angeht … Wenn man deine eingeengte Sichtweise in Betracht zieht, sind deine Argumente durchaus überzeugend. Allerdings kennst du noch nicht alle Fakten. Und solange das so ist, wirst du meinem Urteil vertrauen müssen.«
    »Dann klär mich auf«, bat Tom etwas überhastet. In Wahrheit gab er einen Dreck auf dieses hirnlose Geschwafel, doch er sah darin die einzige Möglichkeit, Fanta hinzuhalten. Denn nach den beiden Ärzten waren nur noch Mark und Karin übrig. »Sag mir, was ich wissen muss.«
    »Immer mit der Ruhe, mein Freund. Wir wollen doch nichts überstürzen. Es hat lange gedauert, bis es so weit war. Ich möchte jetzt nichts riskieren.«
    »Nichts riskieren? Aber warum bin ich dann hier? Um was geht es hier eigentlich, verdammt noch mal?«
    »Um dein Leben, Tom. Und damit zwangsläufig auch um meins.«
    Das Unwetter wurde immer stärker. Selbst durch die dicken Mauern und Decken konnte man das Getöse hören. Immer wieder vernahm Tom dumpfe Schläge über sich. Das Gebäude gab nach, konnte der Kraft des Sturms nicht länger standhalten. Nicht mehr lange, und sie würden unter den Trümmern begraben werden. Und das alles wegen eines Mannes, den er einmal als seinen besten Freund bezeichnet hatte und der sich nun als skrupelloser Mörder entpuppte.
    »Du sagst, es geht um unser Leben. Da hast du sicher recht, weil nämlich gleich alles über uns zusammenkracht.«
    »Wie gesagt, das hoffe ich sehr«, erwiderte Fanta nur.
    »Verdammt noch mal, Stefan! Lass uns die anderen hier rausbringen und wie vernünftige Menschen miteinander reden. Dann muss niemand mehr sterben!«
    »Dafür ist es jetzt zu spät.«
    »Wieso?«
    »Weil wir eine Entscheidung treffen müssen, Tom. Und zwar eine endgültige.« Gemächlich schritt Fanta auf Karin zu und blieb vor ihr stehen. Beinahe verträumt blickte er auf ihren regungslosen, fast nackten Körper herab. »Sieh sie dir an«, sagte er und ging in die Hocke. »Sie ist wunderschön.« Langsam ließ er die Mündung der Pistole über die glatte Haut ihres Gesichtes gleiten, vorbei an dem kleinen Muttermal über ihrem Mundwinkel. »Du warst schon damals ziemlich verknallt in sie. Gott, sie war wirklich etwas Besonderes, sie hat dich inspiriert. Aber du musstest ja unbedingt über diesen Scheißzaun klettern und den Helden spielen, nicht wahr? Und jetzt ist alles zum Teufel. Nur die verfälschte Erinnerung an sie ist noch da.«
    Tom sah ihn ratlos an. »Stefan«, sagte er, »du redest wirres Zeug.«
    »Und du hast nicht den Mumm gehabt, mit diesem Fehler zu leben«, fauchte Fanta zurück. »Du hast dich jahrelang verkrochen und deine Wunden geleckt, hast allen anderen die Schuld gegeben.« Er schnellte hoch und richtete den Lauf der Waffe auf Tom, so dass der vor Schreck zusammenfuhr. »Mach die Welt nicht verantwortlich für das, was mit dir passiert ist! Es war ganz allein deine Überheblichkeit, die dich hierhergebracht hat, dich und die Menschen, die in den letzten Jahren dein Leben geprägt haben. Oder zumindest das, was du für dein Leben hältst«, fügte er bitter hinzu.
    »Bitte«, flehte Tom. »Tu’s nicht!«
    »Keine Sorge«, versicherte Fanta. »Sie spüren nichts.« Er ließ die Pistole sinken.
    Tom atmete auf.
    »Kannst du dich noch an diesen Film erinnern, wo Robert De Niro einen Mann spielt, der so eine seltene Schlafkrankheit hat?«, fragte Fanta und stolzierte vor ihm auf und ab. »Seit seiner Kindheit saß er völlig erstarrt in seinem Stuhl, war zu einer Puppe im Schaufenster des Lebens geworden. Nur gelegentlich hat er ein paar Reflexe oder Zuckungen gezeigt. Ansonsten war genauso wenig Leben in ihm wie in unseren beiden Kommissaren

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