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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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wäre es unseren Gästen gegenüber auch ziemlich unhöflich, wenn du dich einfach davonstehlen würdest.« Er deutete auf die hintere rechte Ecke des Raumes.
    Tom folgte seiner Hand und erkannte erst jetzt im Halbdunkel mehrere Gestalten, die genau wie er bis auf die Unterwäsche entkleidet waren und reglos gegen die Wand gelehnt auf Decken saßen. Sie atmeten gleichmäßig, wirkten aber völlig leblos, was dem Ganzen den morbiden Charakter eines Wachsfigurenkabinetts verlieh. Erstaunt stellte Tom fest, dass auch Dorn und Bender unter den Gefangenen waren. Die beiden saßen ganz außen, ihm am nächsten. Dann folgten Dr. Westphal und ihr Sohn Gerrit. Sie alle saßen bewegungslos am Boden, den Blick seltsam starr geradeaus gerichtet. Wie Maschinen, dachte Tom bei ihrem Anblick. Er vermutete, dass sie unter Drogen standen.
    Und schließlich sah er sie. Die beiden saßen etwas abseits von den anderen, dort, wo die Wand einen Knick machte. Eine Welle der Erleichterung überschwemmte Tom, als er sah, dass sie atmeten, dass sie lebten! Auch wenn es nur schwer zu ertragen war, sie in diesem Zustand zu sehen.
    »Karin! … Mark!«
    Doch die beiden rührten sich nicht, wie Marionetten, die schlaff an ihren Schnüren hingen. Auch sie sahen aus wie betäubt. Wieder versuchte Tom aufzustehen, wollte zu ihnen, und wieder hinderte Fanta ihn daran.
    »Lass mich gefälligst«, brüllte Tom ihn an. »Was hast du mit ihnen gemacht, du Arschloch?«
    »Nichts«, versicherte Fanta. »Es geht ihnen gut, wenn man so will.«
    »Ach ja? Sie sehen alle aus wie tot!«
    »Sie sind nur ruhiggestellt. Jedenfalls fürs Erste.« Fanta trat bis auf wenige Schritte an ihn heran und ging vor ihm in die Hocke. »Aber wenn wir hier fertig sind und alles gut gelaufen ist«, sagte er und zwinkerte mit den Augen, »dann sind wir beiden hier die Einzigen, die noch atmen.«
    Ein lautes Poltern war von draußen zu vernehmen. Vermutlich war ein weiterer Teil der Decke eingebrochen oder Teile des Daches. Immerhin schien der Raum, in dem sie sich befanden, vor den Zerstörungen sicher zu sein.
    »Egal, was du vorhast, es geht nur uns beide was an.« Tom hatte Mühe, die Panik in seiner Stimme zu unterdrücken. »Lass die anderen gehen.«
    Fanta seufzte übertrieben. »Glaub mir, das würde ich wirklich gerne tun, aber das geht leider nicht.«
    »Und warum nicht?«
    Wieder ein Seufzen. Diesmal hatte Tom das Gefühl, dass es ehrlich war.
    »Ganz einfach, mein Freund: Solange sie am Leben sind, kannst du niemals frei sein.«
    »Was redest du da für einen Unsinn?«, fragte Tom verwirrt. »Ich dachte, du wärst mein Freund.«
    »Das bin ich auch, Tom, glaub mir.«
    »Und wieso tust du das dann? Was machen die alle hier? Soviel ich weiß, geht es doch um meine Vergangenheit.«
    »Das ist richtig. Aber diese Menschen sind auf eine gewisse Weise untrennbar damit verknüpft.«
    Tom starrte ihn lediglich verständnislos an.
    »Ich werde versuchen, es dir zu erklären«, sagte Fanta, nun wieder betont lässig. »Ich denke, am besten betrachten wir das Ganze mal aus der schriftstellerischen Perspektive. Tun wir also einfach so, als wäre das hier eine von deinen Geschichten, und plaudern wir ein wenig aus dem Nähkästchen. Sozusagen ein Treffen unter Kollegen.« Er ging in die hintere Ecke des Raumes und stellte sich demonstrativ vor seine Gefangenen. »Stellen wir uns also folgende Frage: Was braucht man für einen guten Thriller?« Er betonte die einzelnen Worte mit ausladenden Gesten, als wäre er ein Dozent für Kreatives Schreiben und dies hier einer seiner Kurse. »Nun, als Erstes natürlich Inspiration. Aber auch dazu kommen wir später. Des Weiteren wäre da die gute alte Polizei.« Damit deutete er auf die beiden Kommissare. »Sie haben die Einleitung geliefert, quasi den Stein ins Rollen gebracht. Sie waren der Antrieb für diese Geschichte, in deren Verlauf sie immer wieder für Tempo sorgten, indem sie neue Erkenntnisse eingebracht haben.« Sein Enthusiasmus ließ plötzlich merklich nach. »Aber in unserem Fall«, stellte er mit einer abfälligen Handbewegung fest, »sind sie nur Statisten und Stichwortgeber. Sie hatten lediglich kurze, wenn auch intensive Auftritte, aber bei der Auflösung spielen sie keine Rolle mehr. Ihre Aufgabe ist somit erfüllt, sie werden nicht länger benötigt.«
    Mit einer schwungvollen, fast grazilen Bewegung griff er hinter sich, und Tom erstarrte, als Fanta plötzlich eine großkalibrige Pistole in der Hand hielt und sie auf

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