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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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wenn du deine Geschichten geschrieben hast.«
    Toms Augen wurden riesengroß.
    »Es gibt sicher viele Begriffe für das, was ich bin«, fuhr Fanta fort. »Aber wenn du mich öfter mit meinem Spitznamen angeredet hättest, wärst du vielleicht sogar auf die gängigste Bezeichnung gekommen.«
    »Mein Gott«, hauchte Tom.
    »Nun, ganz so weit würde ich nicht gehen«, erwiderte Fanta trocken. »Das wäre auch ziemlich anmaßend. Aber du hast nicht ganz unrecht, auch ich bin im Grunde so etwas wie ein Schöpfer.«
    »Du bist verrückt.«
    »Nein, Tom. Bloß reine Fantasie.« Er breitete die Arme aus wie ein Herrscher, der zu seinem Volk spricht. »Ich bin dein Befreier, dein Fährmann, wenn du so willst. Ich bin der Regisseur und der Intendant der Inszenierung, die du dein Leben nennst. Und ehrlich gesagt bin ich ein bisschen gekränkt darüber, wie wenig Anerkennung mir für diese kreative Meisterleistung menschlicher Vorstellungskraft entgegengebracht wird.« Wieder trat er auf Tom zu, beugte sich zu ihm hinunter und berührte sanft seine Schulter. »Ich bin dein Dr. Malcolm Sayer aus Zeit des Erwachens. Und ich bin hier, um dich aus deiner Starre zu befreien.«
    Eine weitere schwere Erschütterung ließ die Decke erzittern. Risse bildeten sich, zogen sich bis zu den Wänden. Regale fielen um, Farbdosen rollten über den Boden. Und selbst dort deuteten sich bereits feine Risse an, die sich wie ein Netz über den Beton erstreckten. Offenbar brach allmählich sogar das Fundament auseinander.
    Tom registrierte das alles nur beiläufig. Es erschien ihm plötzlich nicht mehr wichtig. Sein Blick war starr auf Fanta gerichtet.
    »Du behauptest also, ich hätte mir das alles nur eingebildet?«
    »Nein, Tom, eingebildet ist das falsche Wort. Du hast dich verkrochen, hast dich der realen Welt völlig entzogen und dir mit meiner Hilfe deine eigene erschaffen. Eine Welt nach deinen Maßstäben und Wunschvorstellungen. Nur deine Angst konntest du dadurch nicht besiegen. Sie hat dich zu einem Gefangenen deiner eigenen Fantasie gemacht.«
    Tom schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Du musst zugeben, dass sich das ziemlich abgedreht anhört.«
    »Es ist immer schwer zu begreifen, wenn die Welt, die einem vertraut ist, einem unter den Füßen wegbricht.«
    Tom zögerte kurz. »Aber … aber wieso das alles?«
    »Das Trauma, der Wächter, die Erinnerungen daran … Die sind real. Und sie waren der Nährboden für diese Fantasie. Ich musste deine erfundene Welt erst zum Einsturz bringen, damit du diese Erinnerungen wieder zulässt, sie findest und befreist.«
    »Sie findest?«, fragte Tom.
    »Ja. Damit sie dir deine kleine heile Illusion nicht zerstören konnten, hattest du sie gut versteckt. Du hattest sie sicher eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Ich musste sozusagen die Brechstange nehmen, um an sie heranzukommen.«
    »Und da hast du dir gedacht, du erscheinst mir mal eben auf der Toilette, um dich an mich ranzumachen und mein Leben zu zerstören.«
    »So ungefähr.« Fanta lächelte unwillkürlich. »Ich habe den Wächter noch einmal auferstehen lassen. Aber dieses Mal, um dich zu retten, um dich noch einmal deinen schlimmsten Ängsten auszusetzen, damit sie ihren Schrecken verlieren.«
    Tom ließ den Blick durch den Raum kreisen. »Wenn es stimmt, was du sagst, dann ist das alles hier also nicht echt.«
    »Doch, in gewisser Weise schon.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich habe es nur verbildlicht, es plastisch dargestellt. Was du hier siehst, ist nur das, was deine Angst dich glauben lässt. Denn wir befinden uns an dem Ort deines Verstandes, wo all deine Ängste und dein Hass gelagert sind, die dich seit jenem Tag blockieren und dich in dem Zustand verharren lassen, in dem du seitdem bist.«
    »Stopp!« Tom wollte aufstehen, taumelte jedoch und stützte sich an der Wand ab. Sein Atem ging flach und schnell, und in seinem Kopf begann sich alles zu drehen. »Warum sollte ich mich der übrigen Welt entziehen wollen?«
    »Um dich zu schützen, Tom. Die Welt hatte dir übel mitgespielt. Also hast du ihr den Rücken gekehrt. Das ist ganz normal, zumindest für eine gewisse Zeit. Das Fatale daran war, dass es dir gefallen hat und du nicht mehr zurückwolltest. Es war dein Verstand, der diese Mauern hier errichtet hat, um das einzuschließen, was sie einmal beherbergt haben, nämlich deine Erinnerungen. Es hat lange gedauert, sie mürbe zu machen, aber heute bringen wir sie zum Einstürzen.«
    Tom rieb sich die

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