Stigma
zu reden.«
»Oh, Sie wollen Offenheit!«, schrie Tom nun außer sich und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die Teetassen einen Satz machten und sich ein Teil ihres Inhaltes über den Tisch ergoss. »Na schön, dann spitzen Sie mal die Ohren, Frau Doktor!« Er spürte, wie seine Wangen vor Zorn glühten, während sein Zeigefinger wie ein Taktstock vor ihren überraschten Augen fungierte. »Bis vor zwei Monaten war meine kleine normale Welt weitgehend intakt. Ich hatte eine Frau und einen Sohn und war ein erfolgreicher Schriftsteller. Und dann, wie aus heiterem Himmel heraus, habe ich plötzlich eine Schreibblockade und bin nicht einmal mehr fähig, auch nur einen einzigen Satz zu Papier zu bringen. Und als wäre das nicht schon beängstigend genug, häufen sich aus unerklärlichen Gründen auch noch meine Panikattacken, und mein Gedächtnis ist mittlerweile so zerklüftet wie der Grand Canyon, was vermutlich auch die Erklärung für die anfänglichen Blackouts bei der Rückführung ist.«
Sie sah ihn nur stumm an, und in ihren Augen flackerte eine unterschwellige Angst.
»Dann wird in unmittelbarer Nähe unseres Hauses die Leiche eines Kindes gefunden«, fuhr er aufgebracht fort. »Und dieses Kind sieht nicht nur genauso aus, es wird auch noch unter denselben Umständen gefunden wie die Leiche im Garten dieses Verrückten. Zwei Kriminalbeamte tauchen auf und zeigen mir eine Botschaft, die an mich gerichtet ist und die eigentlich nur von dem Mann stammen kann, der angeblich seit dreizehn Jahren tot ist.«
Sein Atem war wieder zu einem Keuchen geworden. Er spürte, wie die Energie durch seinen Körper peitschte und ihn zu einem Akku des Zorns machte, der zu überladen drohte.
»Von da an hatte ich gar keine andere Wahl, als mich mit diesen schrecklichen Dingen zu beschäftigen, denn sie beschäftigen sich seitdem mit mir. Ich hätte diese beschissene Hypnose gar nicht gebraucht, denn seitdem vergeht fast kein Tag, an dem meine Vergangenheit mich nicht in Form von Visionen und Rückblenden heimsucht. Erinnerungen, die ich längst verloren geglaubt habe und die so real sind, dass ich sie langsam nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Und plötzlich bricht alles auseinander, und mein Leben verwandelt sich quasi über Nacht in einen trostlosen Haufen Scheiße. Und dann höre ich auch noch ständig diese Stimmen, die wie eine Funkstörung durch meinen Kopf geistern, so dass ich mir langsam vorkomme wie eine schlechte Kopie dieses Irren, dem ich das alles zu verdanken habe!« Er beugte sich zu ihr vor und sah ihr tief in die Augen. »Und nun frage ich Sie, Frau Doktor, haben Sie eine plausible Erklärung für all das?«
Sie betrachtete ihn unsicher. Ihr Mund öffnete sich leicht, als wollte sie etwas erwidern, doch die Worte versiegten bereits im Ansatz.
»Was denn«, fauchte er gereizt, »keine teuren Ratschläge, keine Analyse, nicht mal der Ansatz eines schlauen Spruchs?«
Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, Tom«, hauchte sie kaum hörbar. »Ich habe auch keine Erklärung dafür, weshalb das alles mit Ihnen geschieht. Aber …«
»Tja, das enttäuscht mich aber sehr«, fiel er ihr ins Wort und beugte sich noch weiter vor, bis sich ihre Gesichter fast berührten. »Eigentlich hatte ich mir diesbezüglich etwas mehr von Ihnen erhofft. Ehrlich gesagt finde ich es nämlich langsam ziemlich merkwürdig, wie brennend sich plötzlich alle für meine Vergangenheit interessieren und versuchen, Ihren Job zu machen, indem sie mir schlaue Ratschläge erteilen und mich zu etwas drängen, was ich eigentlich gar nicht tun will. Zuerst mein bester Freund, dann meine eigene Frau und jetzt auch noch Sie, Frau Doktor. Und jedes Mal, wenn ich mich diesem Drängen widersetze, bekomme ich postwendend eine Art Denkzettel verpasst. Und das mit einer Regelmäßigkeit, die mich langsam nicht mehr an Zufälle glauben lässt.«
»Ich … ich weiß wirklich nicht, worauf Sie hinauswollen«, erwiderte sie verunsichert.
»Darauf, dass hier irgendjemand ziemlich viel Zeit und Grips investiert, um mir das Leben zur Hölle zu machen. Und ich will verdammt noch mal wissen, was dieser Jemand damit bezweckt! Sagen Sie es mir, Frau Doktor, was wird hier gespielt?«
»Tom, ich garantiere Ihnen …«
»Sie garantieren mir? Ich dachte, die Psychoanalyse bietet keine derartigen Dienstleistungen.« Wütend ließ er sich gegen die Stuhllehne zurückfallen. »Sie und Ihre altklugen
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