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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Kreislauf. Ich habe in den letzten Nächten nicht viel geschlafen.«
    »Dann sollten wir uns lieber setzen«, schlug sie vor und holte zwei Keramiktassen aus einem der Hängeschränke.
    »Ja, das ist sicher eine gute Idee.«
    Dr. Westphal schenkte den frisch aufgebrühten Tee ein und folgte ihm an den Tisch. »Hier«, meinte sie und reichte ihm eine der Tassen. Das fruchtig herbe Aroma stieg ihm sofort in die Nase. »Das wird Ihnen guttun.« Sie nahm ihm gegenüber Platz. Dabei knöpfte sie ihren Blazer auf, der den Blick auf die weiße Bluse freigab, die sich reizvoll um ihre wohlgeformten Brüste schmiegte.
    Starr sie nicht an, ermahnte Tom sich in Gedanken. Sonst hält sie dich noch für einen notgeilen Psycho und lässt dich sofort in die Geschlossene einliefern.
    Die Situation wurde zunehmend peinlicher für ihn. Am liebsten wäre er einfach aufgestanden und davongelaufen, um sich auf diese kindische Art und Weise ihrer Gegenwart zu entziehen, die aus irgendeinem Grund mit jeder Sekunde verführerischer auf ihn wirkte und ihn erregte. Was zum Teufel war los mit ihm?
    »Wie werden Sie mit der Situation fertig?«, fragte sie.
    »Welche Situation?« Sein Blick zuckte von ihrem Ausschnitt zu ihren Augen.
    »Dass Ihre Frau Sie verlassen hat?«
    »Oh … natürlich, mit dieser Situation.« Der unbeholfene Versuch, an seiner Teetasse zu nippen, endete damit, dass er sich den Mund verbrühte, was ihm Tränen in die Augen trieb. Allerdings merkte er erleichtert, wie seine Erregung nachließ. »Na ja«, meinte er und wischte sich die Augen, »es ist sehr ungewohnt, so allein im Haus.«
    »Sie müssen sich mir gegenüber nicht verstellen. Es macht mich eher misstrauisch, wenn Sie hier versuchen, den coolen Typen zu spielen.«
    »Was verlangen Sie von mir, dass ich Ihnen mein Herz ausschütte?«
    Sie seufzte. »Nein, nur eine ehrliche emotionale Reaktion.«
    »Ich komme schon zurecht, wenn Sie darauf anspielen. Außerdem bin ich sicher, dass das nur vorübergehend ist. Sobald sich diese verdammte Geschichte geregelt hat, läuft alles wieder in seinen normalen Bahnen.«
    Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück und trank einen Schluck. »Ihr Leben verläuft im Moment ganz und gar nicht in normalen Bahnen, Tom. Und ich frage mich langsam ernsthaft, ob Sie fähig sind, das zu begreifen. Was muss noch alles geschehen?« Sie neigte den Kopf etwas zur Seite und kniff prüfend die Augen zusammen. »Haben Sie sich eigentlich schon mal die Frage gestellt, ob Ihre Frau überhaupt beabsichtigt, zu Ihnen zurückzukehren? Vielleicht ist es ihr ja mittlerweile egal, wie das Ganze ausgeht. Und möglicherweise sind es ja gar nicht die Umstände, die sie von hier fernhalten, sondern die Tatsache, dass sie Angst vor Ihnen hat.«
    Er schwieg einen Moment. Seine Finger umklammerten den Henkel seiner Tasse so fest, dass die Sehnen an seinem Handrücken hervortraten. »Wie kommen Sie darauf? Haben Sie mit ihr gesprochen?«
    »Sie hat mich gestern angerufen, nachdem ich versucht hatte, sie zu erreichen. Das war unter anderem auch der Grund dafür, weshalb ich mich nicht bei Ihnen gemeldet habe. Ich musste diese neuen Erkenntnisse erst einmal aufarbeiten.«
    »Was … was hat sie Ihnen gesagt?«
    »Nun, sie hat mir erzählt, was passiert ist. Und sie hat gesagt, dass sie sich im Moment außerstande fühlt, in dieses Haus zurückzukehren. Schon Ihres Sohnes wegen. Sie hat auch gesagt, sie würde Zeit brauchen, um mit dem fertigzu- werden, was geschehen ist, und dass sie vermutlich nie wieder Vertrauen zu Ihnen fassen könne, was den Umgang mit Mark betrifft. Und sie hat mir gegenüber auch die Möglichkeit erwähnt, einen Anwalt hinzuzuziehen.«
    Tom schluckte, und sein Herzschlag schien einen Gang herunterzuschalten. Nicht dass er über diese Möglichkeit nicht schon selbst nachgedacht hatte. Doch es nun aus dem Mund eines anderen zu hören, ließ das alles schmerzhaft konkret werden.
    »Tja«, erwiderte er nach einer längeren Pause, und seine Stimme klang kraftlos, »dann ist das eben so. Ich werde damit fertigwerden müssen, wie jeder andere in meiner Lage auch.« Er schob seine Tasse beiseite und lehnte sich ebenfalls zurück. »Und nun können Sie gehen und Ihren Bericht schreiben, oder was immer Sie in solchen Fällen tun.«
    »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, die Analytikerin in mir hat gerade Mittagspause. Ich habe nicht gelogen, als ich Ihnen erklärt habe, dass ich als Ihre Freundin hier bin. Und Sie dürfen mir trotz meines Berufes

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