Stigma
einen Kaffee machen.«
»Danke, aber davon hatte ich heute schon genug«, lehnte sie ab.
»Etwas anderes vielleicht? Wasser oder Limonade?«
»Einem Tee gegenüber wäre ich nicht abgeneigt«, gab sie schließlich aus Höflichkeit nach.
»Tee«, wiederholte Tom und schien zu überlegen. Er öffnete mehrere Schränke, bis er schließlich fündig wurde. »Ah, hier«, meinte er, und es klang eher überrascht als nach einer Feststellung. »Schwarz oder grün?«
»Schwarz, bitte.«
Tom zog eine dunkelrote Blechdose aus dem Apothekerschrank und schüttete die getrockneten Blätter unbeholfen in ein Teesieb. Dabei verstreute er den größten Teil davon über die Arbeitsplatte. Das Zittern seiner Hände hatte zwar nachgelassen, doch mit dem Versuch, es gänzlich zu verbergen, verstärkte er nur den Eindruck seiner inneren Unruhe.
»Die Küche ist nicht gerade Ihr Revier«, stellte sie fest, ein wenig amüsiert über seine Unbeholfenheit.
»Nun ja«, meinte Tom verlegen, während er Wasser in den Kocher goss, »bis jetzt gab es für mich auch keinen Anlass, darin wildern zu gehen. Ich habe mich in meinem Leben bisher nie selbst versorgen müssen, wenn Sie wissen, was ich meine. Mist, verdammter!«, fluchte er, als das Wasser über den Rand des Kochers lief.
»Und das aus gutem Grund, wie es scheint«, sagte sie und kam lächelnd auf ihn zu. »Lassen Sie mich das lieber machen, bevor Sie sich noch verletzen.«
Sie schob ihn beiseite und goss das überschüssige Wasser in den Ausguss. Anschließend leerte sie das Sieb und setzte eine etwas verträglichere Mischung darin an.
»Müssten Sie jetzt nicht in Ihrer Praxis sein?«, fragte Tom, während er ihre grazilen Bewegungen verfolgte.
»Auch Therapeuten haben eine Mittagspause«, meinte sie nur.
»Und die opfern Sie, um für mich einzukaufen?«
»Bei Ihnen klingt das so, als hätte ich dafür auf den Nobelpreis verzichtet.«
»Na ja, ich habe mich nur gefragt, ob Sie das auch bei Ihren anderen Patienten machen.«
»Keiner meiner anderen Patienten ist so an seine häusliche Umgebung gekettet wie Sie, Tom.«
Anders ausgedrückt: Keiner ist so verrückt wie ich, schickte er in Gedanken hinterher. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
Ihre braunen Augen, mit winzigen bernsteingoldenen Einschüssen darin, fixierten ihn. »Wie wäre es mit Vertrauen?«
Tom seufzte. »Ich meine für die Einkäufe.«
Sie lächelte, während im Hintergrund das Wasser zu brodeln begann. »Sie stehen nicht gerne in der Schuld von anderen, nicht wahr?«
»Die meisten verlangen eine Gegenleistung dafür.«
»Und was ist, wenn ich Ihnen sage, dass ich nichts dergleichen vorhabe?«
Tom betrachtete sie skeptisch. »Wir beide wissen doch, dass Sie nicht nur aus Höflichkeit hier sind.«
»Vielleicht haben Sie recht.« Sie goss das kochende Wasser in die Teekanne. »Möglicherweise geht mein Besuch ja weit darüber hinaus.« Ihre Augen blinzelten geheimnisvoll.
Flirtete sie etwa mit ihm?
Der Gedanke erregte Tom ebenso sehr, wie er ihn beunruhigte, was seine Nervosität nur noch steigerte. Er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, und senkte verlegen den Blick, der nun auf die Kanne fiel, in der sich das heiße Wasser mit dem Tee vermischte und die Flüssigkeit immer dunkler verfärbte. Ein Vorgang, den Tom sogleich auf sein Gewissen übertrug. Viel zu hastig griffen seine Hände in die Besteckschublade, um dort nach Teelöffeln zu greifen, die ihm prompt entglitten und mit metallischem Klirren auf dem Boden landeten.
»Nur die Ruhe, Tom«, sagte sie und lächelte leicht. »Ich will nur mit Ihnen reden. Ich dachte, Sie könnten jetzt eine Freundin gebrauchen.«
»Eine Freundin, natürlich.« Tom ging vor ihren Füßen in die Knie, um die Löffel aufzuheben. Dabei konnte er nicht umhin, die glatte Haut ihrer Waden zu bewundern, die sich straff über feste Muskeln spannte und seidig schimmerte. Sie hatte die Beine einer Tänzerin, deren Anblick aus dieser Perspektive sein Blut nur noch mehr in Wallung versetzte. Er spürte Hitze in sich aufsteigen, und einen winzigen Sekundenbruchteil lang spielte er tatsächlich mit dem Gedanken, ihr den Rock vom Leib zu reißen und über sie herzufallen. Blitzschnell fuhr er hoch und tauchte mit hochrotem Kopf vor ihr auf.
»Was ist denn los mit Ihnen, Tom?«, fragte sie besorgt.
»Nichts … wieso?«
»Nun, Sie schwitzen sehr stark. Ist Ihnen nicht gut?«
»Nein … doch …« Er wischte sich über die feuchte Stirn. »Ist vermutlich nur mein
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