Stille finden: Aus der Ruhe leben lernen (German Edition)
gehen.
Damit eine Pause eine echte Pause ist, bedeutet es, eine Tätigkeit wirklich zu unterbrechen. Also den Computer ausschalten. In ein anderes Zimmer gehen. Das Büro verlassen. Es bedeutet auch, nichts oder etwas ganz anderes zu tun. In einer Pause muss man nicht unbedingt mit geschlossenen Augen auf dem Sofa liegen – auch wenn das sehr gut sein kann. Man kann auch auf den Balkon gehen und verwelkte Blüten abzupfen oder durch die Straßen schlendern.
Wichtig ist jedoch, Pausen nicht mit weiteren, ähnlichen Aktivitäten zu füllen. Wer ein angespanntes Berufsleben hat und dann versucht, in Pausen sportliche Höchstleistungen zu erbringen, tut nichts anderes, sondern das gleiche: sich selbst intensiv antreiben. Hier wäre es besser, er würde es in der Pause leicht und locker nehmen. Wer hingegen bei der Arbeit ständig unterfordert ist und sich langweilt, dem könnte eine herausfordernde Aktivpause gut tun.
Wer Pausen so gestaltet, dass sie bewusst Abwechslung von der Haupttätigkeit bringen und sie bewusst anders gestaltet, tankt neue Kraft. Er wird erleben, wie er in Pausen zur Ruhe findet und anschließend die anstehenden Aufgaben mit neuer Freude bewältigen kann.
Denk mal
Wie gestaltest du deine Pausen? Was wäre ganz anders als die Art, wie du sonst lebst?
Mach mal
Mach mal Pause – ganz anders!
2.7 Ruhig betrachten
Wir haben verlernt, die Augen auf etwas ruhen zu lassen; deshalb erkennen wir so wenig.
—Jean Giono
Kürzlich war ich mit Freunden in der königlichen Gartenakademie – einem Berliner Paradies für Pflanzenfans. Wir haben es genossen, uns gegenseitig auf einzelne Pflanzen und Arrangements aufmerksam zu machen: »Schau mal, die Blume hier, ist die nicht zauberhaft zart – wie eine Prinzessin.« Oder: »Wow, die Farben! Bunt wie Zirkus, knallig, extrovertiert.« »Oh, ich mag es, wie diese Blume ihre vielen Kelche nicht auf einmal öffnet, sondern nach und nach.« Und: »Schau dir mal diese gefüllte Rose an. Prachtvoll wie eine Königin.«
Die Bilder von diesem Morgen habe ich tief gespeichert. Nicht digital, sondern in meinen Erinnerungen. Ich muss nur die Augen schließen, dann sehe ich die unterschiedlichen Blumen vor mir. Ich hab die Blüten nicht im Vorübergehen angeschaut, sondern mir vielmehr die Zeit genommen, sie eingehend zu betrachten – eine Kunst, die wir nur noch selten praktizieren, die uns aber wohltut und beglückt.
Etwas intensiv betrachten
Das kann ein Bibeltext oder ein Gedicht sein, das wir auf uns wirken lassen. Wir können uns in den Text regelrecht versenken, uns vorstellen wir wären dabei gewesen, als diese Worte entstanden sind. Was hat den Schreiber wohl bewegt? Wie hätte es sich angefühlt, das selbst mitzuerleben?
Auch Pflanzen, Bilder und Symbole eignen sich für eingehende Betrachtung. Sie werden leise zu uns sprechen, wenn wir hinhören und hinsehen.
Denk mal
Was könntest du tun, um Dinge intensiver wahrzunehmen und auf dich wirken zu lassen?
Mach mal
Nimm dir einen Gegenstand, ein Bild oder einen Text. Betrachte es eingehend und lass es auf dich wirken.
Woche 3 — Stille Gewohnheiten
3.1 Aus guter Gewohnheit
Die Gewohnheit ist ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden, und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen.
—Thomas Mann
»Der Mensch ist ein Gewohnheitstier«, sagt man gerne. Meist bezieht man sich dabei auf innere Trägheit und Verhaltensmuster, die nicht wirklich förderlich für das eigene Leben sind, wie etwa abends um 23 Uhr nochmal am Kühlschrank vorbeizugehen und etwas herauszuholen. Die Wahrheit, dass uns Dinge leichter fallen, wenn wir sie eingeübt und zu einer guten Gewohnheit gemacht haben, gilt auch für wohltuende Angewohnheiten.
Vor einer Weile war ich öfter zu Besuch in einer anderen Ecke Deutschlands. Obwohl ich ungestört war, fiel es mir dort ungemein schwer, zur Stille zu finden. Nach einer Weile wurde mir klar: In Berlin, wo ich zu Hause bin, habe ich Gewohnheiten eingeübt, die mir den Weg zur Stille erleichtern. Wenn ich auf meinem Sofa sitze, vor mir eine Kerze brennt und ich eine große Tasse Tee mit beiden Händen umschließe, dann weiß ich: Jetzt ist Zeit für Stille und Besinnung. Mein Körper und meine Gedanken kommen leichter zur Ruhe als anderswo.
Mir hat diese Erfahrung geholfen, zu verstehen, wie sehr Signale und Rituale dabei helfen, den Weg zur Stille zu finden. Stille-Hilfen können vertraute Orte oder Ecken in der Wohnung ebenso sein wie eine Kerze, ein
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