Stille Sehnsucht
einmal ein ganz merkwürdiges Gefühl. Da war etwas in Noahs Blick, was er nicht greifen konnte. Vielleicht bildete er es sich auch nur ein, schließlich hatte Noah lange im Koma gelegen, aber es schien ihm, als könne Noah mit ihren Gesichtern nichts anfangen. Da war kein Erkennen in seinen Augen. Keine Freude darüber, seine Familie zu sehen.
„Ich hole den Arzt“, sagte Grace und verschwand in den Flur, als Liam sich schließlich als Erster aus seinem Schrecken lösen konnte und langsam an Noahs Bett trat. Dicht gefolgt von Tristan und Nick.
„Hey, Brüderchen. Wie fühlst du dich?“
Noah dachte über die Frage nach und sah sich derweil im Zimmer um. „Müde. Bin ich in einem Krankenhaus?“
„Ja.“
„Warum?“
„Du wurdest angeschossen.“
„Von wem?“
Hier stimmte eindeutig etwas nicht. Niko ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Familie wandern. Er war nicht der Einzige mit einem merkwürdigen Gefühl im Magen, aber Niko schwieg, weil er nicht derjenige sein wollte, der die Frage stellte, die ihm im Kopf herumging. Am Ende war es Adrian, der das Wort ergriff, um zu fragen, was Niko sich nicht traute.
„Noah, was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?“
Noah sah Adrian an. „Ich weiß nichts mehr. Aber ich würde gern wissen, wer Sie alle eigentlich sind.“
- 22. Kapitel -
„Sekunde mal.“ Nick rieb sich die Augen. „Wollen Sie uns damit sagen, dass mein Sohn sich vielleicht nie mehr an seine Väter, an seine Familie, erinnern wird?“
Noahs Arzt sah einen Moment schwer danach aus, als wünschte er sich woanders hin, was Niko ihm nicht mal verübeln konnte, aber dann nickte der Mann und Tristan sackte mit einem Stöhnen im Stuhl zusammen, während Nick der Mund offenstehen blieb. Niko sah zu Liam, der blicklos aus dem Fenster starrte und seine Lippen so fest aufeinander gepresst hatte, dass es wehtun musste.
Niko lehnte sich mit einem innerlichen Seufzen nach hinten und unterdrückte mühsam ein Gähnen. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, Niko wusste nur, dass die Sonne längst untergegangen war. Stunden um Stunden hatten sie ausgeharrt, nachdem Noahs Arzt im Zimmer eingetroffen war und sie hinausgeworfen hatte, um Noah zu untersuchen. Danach war er mit seinem Bett aus dem Zimmer geschoben worden, um Tests zu machen, damit die Ärzte genauer sagen konnten, wie es Noah ging. Und das in dem Chaos zwischen drei Leichen, der Polizei und unzähligen, nervigen Reportern, die von der Schießerei im Krankenhaus ziemlich schnell Wind bekommen und auf eine tolle Story gehofft hatten.
Irgendwann war Tyler dann der Kragen geplatzt. Sein Bulle hatte die Reportermeute rausgeworfen und mit der Erlaubnis seines Chefs, einem breitschultrigen Kerl mit roten Haaren, dem Niko im Flur über den Weg gelaufen war, die gesamte Etage vorläufig abgeriegelt.
Aber auch das schien eine Ewigkeit her zu sein. Niko wollte nur noch in ein Bett. Auch wenn er sich für diesen selbstsüchtigen Gedanken schämte, immerhin war Noah endlich aufgewacht, wenn auch nicht so, wie seine Eltern sich das erhofft hatten, aber Niko konnte kaum noch die Augen offenhalten.
„Wir wollen eine zweite Diagnose.“ Adrians Stimme riss Niko aus einem Halbtraum von Tylers Schlafzimmer und dem weichen, warmen Bett, an dem Tylers Geruch haftete. Adrian trat hinter Tristan und Nick, um ihnen je eine Hand auf die Schultern zu legen, während er Noahs Arzt ansah. „Sie können nicht von uns erwarten, dass wir das so hinnehmen.“
Der Arzt nickte und schien genauso müde zu sein, wie Niko sich fühlte, während er eine zweite und dritte Akte aus der Ersten zog. „Das habe ich auch nicht und deshalb schon zwei Kollegen aus anderen Kliniken hinzugezogen, die meine Diagnose bestätigten. Trotzdem habe ich fünf weitere Anfragen an Fachärzte in Europa geschickt, weil ich sichergehen will. Die Antworten stehen noch aus.“
„Sie glauben nicht, dass sie anders lauten werden?“, fragte Adrian und Noahs Arzt schüttelte den Kopf. „Sie haben gesagt, Noahs Gedächtnisverlust könnte dauerhaft sein und alle Bereiche seines Lebens betreffen. Was heißt das genau?“
„Durch die Pistolenkugel wurde Noahs Gehirn schwer geschädigt. Wir konnten sein Leben retten, aber bereits bei der Operation wurde deutlich, dass Schäden bleiben würden. Da er im Koma lag, konnte niemand sagen, wie diese Schäden aussehen, jetzt wissen wir es. Inwieweit körperliche Funktionen betroffen sind oder im Laufe der nächsten Zeit betroffen sein
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