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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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meiner Aussprache? Oder spreche ich etwa wie ein Boche? Willst du meinen Paß sehen?»
    «Den zeig ihr lieber nicht», sagte ich, denn ich erinnerte mich, daß er einen tschechischen hatte.
    «Möchtest du vielleicht hinübergehen und dir das Bett ein bißchen ansehen?» sagte er und legte den Arm um Colettes Taille. «Die Bettücher werden wir wohl wegwerfen müssen. Ich kann sie nicht zur Wäscherei bringen. Die würden denken, ich habe einen Mord begangen.»
    «Laß sie es doch waschen», sagte ich scherzend. «Da gäb's 'ne Menge zu tun, wenn sie uns hier den Haushalt führen will.»
    «Du willst also, daß sie hierbleibt? Aber du weißt, daß das ungesetzlich ist. Das kann uns ins Gefängnis bringen.»
    «Besorg ihr lieber einen Schlafanzug oder ein Nachthemd», sagte ich, «denn wenn sie nachts in diesem verrückten Hemd von dir herumläuft, könnte ich mich vergessen und sie vergewaltigen.»
    Er betrachtete Colette und brach in Lachen aus.
    «Was ist los?» rief sie. «Macht ihr euch über mich lustig? Warum spricht dein Freund nicht Französisch?»
    «Du hast recht», sagte ich. «Von jetzt an sprechen wir Französisch und nur Französisch. D'accord?»
    Sie grinste kindisch, beugte sich zu mir herab und gab mir einen Kuß auf beide Wangen. Dabei rutschten ihre Brüste aus dem Hemd und streiften mein Gesicht. Das kurze Hemd öffnete sich von oben bis unten und enthüllte einen köstlich glatten, jungen Körper.
    «Um Gottes willen, schaff sie fort und sperr sie in dein Zimmer», sagte ich. «Wenn sie in diesem Aufzug hier herumschleicht, während du nicht da bist, garantiere ich für nichts.»
    Carl verfrachtete sie in sein Zimmer und setzte sich wieder zu mir aufs Bett. «Da haben wir uns was Schönes aufgehalst, Joey», begann er, «und du mußt mir helfen. Du kannst mit ihr machen, was du willst, wenn ich den Rücken kehre. Ich bin nicht eifersüchtig, das weißt du. Aber laß sie bloß nicht in die Hände der Polizei fallen. Wenn sie geschnappt wird, ist ihr die Fürsorge sicher und uns das Kittchen. Der Haken ist nur der: Was erzählen wir der Concierge? Ich kann das Mädchen hier nicht einsperren wie einen Hund. Vielleicht sage ich, sie sei eine Cousine von mir, die zu Besuch gekommen ist. Abends, wenn ich zur Arbeit gehe, mußt du sie mitnehmen ins Kino. Oder mit ihr Spazierengehen. Sie ist nicht anspruchsvoll. Gib ihr Unterricht in Geographie oder sonstwas - sie hat von nichts eine Ahnung. Es wird gut für dich sein, Joey. Du wirst dein Französisch verbessern ... Und bumse sie bloß nicht an, wenn es sich irgendwie vermeiden läßt. Ich kann jetzt kein Geld für Abtreibungen ranschaffen. Außerdem weiß ich nicht, wo der ungarische Doktor hingezogen ist.»
    Ich hörte ihm schweigend zu. Carl hatte eine ausgesprochene Begabung, in schwierige Situationen verwickelt zu werden. Sein großer Fehler — oder vielleicht war es eine Tugend - bestand darin, daß er nicht nein sagen konnte. Die meisten Menschen sagen sofort nein, aus blindem Selbsterhaltungstrieb. Carl sagte immer «Ja», «Selbstverständlich», «Natürlich». Er konnte dem Impuls eines Augenblicks gehorchen und sich damit für ein ganzes Leben kompromittieren, aber im Grunde wußte er wohl, daß der Selbsterhaltungstrieb, der andere nein sagen ließ, sich auch bei ihm im kritischen Augenblick melden würde. Bei all seinen Anwandlungen von Wärme und Großzügigkeit, bei aller instinktiven Güte und Zartheit war er doch der unberechenbarste Bursche, den ich jemals kennengelernt habe. Kein Mensch, keine Macht der Erde konnte ihn festnageln, wenn er einmal entschlossen war, sich zu befreien. Er war glatt wie ein Aal, listig, einfallsreich und völlig hemmungslos. Er kokettierte mit der Gefahr, nicht weil er Mut hatte, sondern weil sie ihm Gelegenheit gab, seinen Verstand zu schärfen und seine Art von Jiu-Jitsu anzuwenden. Wenn er was getrunken hatte, wurde er leichtsinnig und verwegen. Herausfordernd konnte er dann ein Polizeirevier betreten und aus vollem Halse Merde! schreien. "Wurde er festgenommen, so entschuldigte er sich damit, daß er wohl vorübergehend den Verstand verloren habe. Und er kam damit durch! Gewöhnlich trieb er seinen Jux so rasch, daß er, bevor den verblüfften Friedenswächtern die Sache zum Bewußtsein kam, bereits ein paar Häuserblocks weiter war und vielleicht auf einer Café- terrasse ein Bier trank und so unschuldig wie ein Lamm dasaß. Wenn Carl in Geldverlegenheit war, versetzte er immer seine Schreibmaschine.

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