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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Schnalle, Nys - die starb bestimmt nicht an Unterernährung. Noch mal Scheiße! — und ins Bett.
    Ich hatte kaum die Decke über mich gezogen, als ich wieder zu lachen anfing. Diesmal war es erschreckend. Ich mußte so hysterisch lachen, daß ich nicht aufhören konnte. Es war wie tausend gleichzeitig losgehende Leuchtkugeln. Ganz gleich, an was ich dachte — und ich versuchte, an traurige und sogar schreckliche Dinge zu denken -, das Lachen hörte nicht auf. Wegen einer kleinen Brotkruste! Dieser Satz verfolgte mich unentwegt und stürzte mich in immer neue Lachanfälle.
    Ich lag erst eine Stunde im Bett, als ich Carl kommen hörte. Er ging gleich in sein Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Ich war drauf und dran, ihn zu bitten, noch einmal fortzugehen und mir ein belegtes Brot und eine Flasche Wein zu besorgen. Dann hatte ich eine bessere Idee. Ich würde früh am Morgen, wenn er noch schlief, aufstehen, und seine Taschen plündern. Während ich mich hin und her wälzte, hörte ich ihn ins Badezimmer gehen. Er kicherte und tuschelte, höchstwahrscheinlich mit einer Nutte, die er auf dem Heimweg aufgegabelt hatte.

     
    Als er aus dem Badezimmer kam, rief ich ihn.
    «Du bist also noch wach?» sagte er hocherfreut. «Was ist los, bist du krank?»
    Ich erklärte, ich hätte Hunger, einen Wolfshunger. Ob er etwas Kleingeld habe?
    «Ich bin abgebrannt», sagte er. Das sagte er so fröhlich, als sei es völlig unwichtig.
    «Hast du nicht wenigstens einen Franc?» fragte ich.
    «Kümmer dich jetzt nicht um Francs», sagte er und setzte sich auf den Bettrand, mit der Miene eines Menschen, der einem eine wichtige Neuigkeit anvertrauen will. «Wir haben uns jetzt um Wichtigeres zu kümmern. Ich hab ein Mädchen mit nach Hause gebracht - eine Waise. Sie kann höchstens vierzehn sein. Ich hab ihr gerade einen verpaßt. Hast du mich gehört? Ich hoffe, ich hab sie nicht angebumst. Sie ist noch Jungfrau.»
    «Du meinst, sie war es», warf ich ein.
    «Hör zu, Joey», sagte er und dämpfte seine Stimme, um sie überzeugender klingen zu lassen, «wir müssen etwas für sie tun. Sie hat keine Bleibe... ist von zu Hause weggelaufen. Als ich sie aufgabelte, lief sie wie in Trance herum, halb verhungert und leicht verhuscht, wie ich zuerst dachte. Aber nein, nein, sie ist okay. Nicht sehr helle, aber ein braves Ding. Wahrscheinlich aus guter Familie. Sie ist noch ein Kind... Du wirst sehen. Vielleicht heirate ich sie, wenn sie volljährig ist. Jedenfalls ist kein Geld da. Ich habe meinen letzten Cent ausgegeben, um sie zum Essen einzuladen. Wirklich schlimm, daß du nichts zu essen hattest. Du hättest mit uns kommen sollen. Wir hatten Austern, Hummer, Krabben - und einen wundervollen Wein. Einen Chablis, Jahrgang...»
    «Scheiß auf den Jahrgang!» schrie ich. «Erzähl mir nicht, was ihr gegessen habt. Ich fühle mich so leer wie eine ausgekippte Mülltonne. Und jetzt haben wir auch noch drei Mäuler zu füttern, und kein Geld, keinen Sou.»
    «Nimm es nicht so schwer, Joey», sagte er lächelnd, «du weißt, daß ich für den Notfall immer noch ein paar Francs in der Tasche behalte.» Er griff in seine Tasche und zog das Kleingeld heraus. Es waren alles in allem 3 Francs 60 . «Das reicht für dein Frühstück», sagte er. «Morgen ist wieder ein Tag.»
    In diesem Augenblick steckte das Mädchen den Kopf durch den Türspalt. Carl sprang auf und brachte sie mir ans Bett. «Colette», stellte er vor, als ich die Hand ausstreckte, um sie zu begrüßen. «Was hältst du von ihr?»
    Bevor ich Zeit hatte zu antworten, wandte das Mädchen sich an ihn und fragte ganz erschreckt, in welcher Sprache wir uns unterhielten.
    «Erkennst du nicht Englisch, wenn du es hörst?» sagte Carl und warf mir einen Blick zu, der heißen sollte, ich hab dir ja gesagt, daß sie nicht alle Tassen im Schrank hat.
    Rot vor Verlegenheit erklärte das Mädchen rasch, es habe zuerst wie Deutsch oder vielleicht Belgisch geklungen.
    «Es gibt kein Belgisch», schnaubte Carl. Dann zu mir: «Sie ist ein kleiner Dummkopf. Aber schau dir diesen Busen an! Hübsch reif für vierzehn, was? Sie schwört, sie sei siebzehn, aber ich glaube es ihr nicht.»
    Colette stand da und lauschte den fremden Lauten, noch immer nicht imstande, zu begreifen, daß Carl etwas anderes als Französisch sprechen konnte. Schließlich wollte sie wissen, ob er wirklich Franzose sei. Das schien ihr besonders wichtig.
    «Klar bin ich Franzose», sagte Carl vergnügt. «Merkst du es nicht an

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