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Stille Tage in Clichy

Titel: Stille Tage in Clichy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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der vor Vitalität strotzt, sondern wie jemand, der sich weigert, seine Energie zu verschwenden, und der noch stets dafür gesorgt hatte, daß die Uhr nicht ablief.
    Wenn ich an unsere gemeinsame Zeit in Clichy zurückdenke, kommt sie mir wie ein Aufenthalt im Paradies vor. Nur das Nahrungsproblem war ein echtes Problem. Alle anderen Leiden bestanden lediglich in unserer Einbildung. Das erklärte ich ihm hin und wieder, wenn er sich darüber beklagte, ein Sklavenleben führen zu müssen. Er pflegte darauf zu antworten, ich sei ein unverbesserlicher Optimist, aber es war nicht Optimismus, es war die Erkenntnis, daß, wenn auch die Welt eifrig an ihrem Grab schaufelte, doch noch Zeit blieb, das Leben zu genießen, fröhlich und sorglos zu sein, zu arbeiten oder auch nicht zu arbeiten.

     
    Sie dauerte ein gutes Jahr, diese Zeit, und während dieser Monate schrieb ich Schwarzer Frühling , radelte am Ufer der Seine hinauf und hinunter, machte kleine Reisen in den Midi und zu den Loire-Schlössern und schließlich mit Carl einen verrückten Ausflug nach Luxemburg.
    Es war eine Zeit, wo die Möse in der Luft lag. Die englischen Girls traten im Casino de Paris auf. Sie aßen in einem prix-fixe -Restaurant in der Nähe der place Blanche. Wir freundeten uns mit der ganzen Truppe an, insbesondere mit einer hinreißend schönen Schottin und ihrer eurasischen Freundin aus Ceylon. Die Schottin hängte Carl am Schluß einen prächtigen Tripper an, den sie von ihrem Negerliebhaber in der Melody-Bar bezogen hatte. Aber damit greife ich meiner Geschichte vor. Schließlich gab es noch eine Garderobiere in einem kleinen Tanzlokal in der rue Fontaine, das wir gewöhnlich an Carls freien Abenden besuchten. Sie war eine Nymphomanin, lebenslustig und sehr bescheiden in ihren Ansprüchen. Sie führte uns bei einem Rudel Mädchen ein, die an der Bar herumlungerten und uns, wenn sie nichts Besseres auftreiben konnten, am Ende des Abends für ein Butterbrot mitnahmen. Eine von ihnen bestand immer darauf, uns beide mit zu sich nach Hause zu nehmen — sie sagte, das rege sie auf. Dann war da noch das Mädchen aus der épicerie , deren amerikanischer Mann sie verlassen hatte. Sie ließ sich gern ins Kino und anschließend ins Bett mitnehmen, wo sie dann die ganze Nacht wachlag und in gebrochenem Englisch redete. Es war ihr gleich, mit wem von uns sie schlief, da wir ja beide Englisch sprachen. Und schließlich war da Jeanne, die mein Freund Fillmore sitzengelassen hatte. Jeanne schneite zu den ausgefallensten Tages- und Nachtzeiten herein, immer mit Weinflaschen beladen. Sie trank wie ein Fisch, um sich zu trösten. Sie war zu allem bereit, nur mit uns ins Bett gehen wollte sie nicht. Eine hysterische Person, ständig zwischen größter Ausgelassenheit und schwärzester Melancholie schwankend. Wenn sie einen Schwips hatte, wurde sie sinnlich und wild. Man konnte sie ausziehen, ihr die Hinterbacken tätscheln, ihre Titten bearbeiten, sie lecken, aber wenn man den Pint auch nur in die Nähe ihrer Möse brachte, geriet sie aus dem Häuschen. Sie konnte einen leidenschaftlich beißen und einen mit ihren kräftigen Bauernhänden am Schwengel ziehen, um im nächsten Augenblick wild zu schluchzen, mit den Füßen zu treten oder blind um sich zu schlagen. Gewöhnlich ließ sie bei uns ein Trümmerfeld zurück. Manchmal rannte sie in ihren Wutanfällen halbnackt aus dem Haus, um in der nächsten Minute wiederzukommen, zahm wie ein Kätzchen und voller Entschuldigungen. In solchen Momenten hätte man ihr, wenn man gewollt hätte, einen guten Fick verpassen können, aber das taten wir nie.
    «Nimm du sie», höre ich Carl noch heute zu mir sagen, «ich habe die Nase voll von dem Aas, sie ist meschugge.» Ich dachte nicht anders über sie. Aus reiner Freundschaft quetschte ich sie an den Heizkörper und rieb ihr einen ab, tankte sie mit Cognac auf und schob sie ab. Sie schien jedesmal äußerst dankbar für derartige kleine Aufmerksamkeiten. Wie ein Kind.
    Es gab noch ein anderes Mädchen, das wir später durch Jeanne kennenlernten, ein unschuldig aussehendes Ding, aber gefährlich wie eine Viper. Sie kleidete sich bizarr, ein wenig überspannt, möchte ich sagen, was mit ihrem Pocahontas-Komplex zusammenhing. Sie war eine Pariserin und die Geliebte eines berühmten surrealistischen Dichters - was wir allerdings erst später erfuhren.
    Kurz nachdem wir ihre Bekanntschaft gemacht hatten, trafen wir sie eines Nachts, wie sie allein in den alten

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