Stiller Tod: Thriller (German Edition)
Vernon an Bord.
Exley nimmt die Steine weg, und das Boot richtet sich auf. Vernons verkümmertes Bein baumelt über den Rand wie ein Haiköder. Exley kann sich kaum noch auf den Beinen halten, und der Gedanke, durch die Brandung hindurch hinauszurudern, gegen den Wind, scheint unvorstellbar.
Während Exley die Ruder holt, die zwischen den Felsen verstaut liegen, und sie neben Vernon ins Boot legt, sammelt Dawn faustgroße Steine und füllt die Uniformtaschen des Toten damit, klemmt noch ein paar unter die Schutzweste.
Sie schieben das Boot runter vom Sand und hinaus in die Wellen, versinken bis zur Taille im eisigen Wasser. Exley hievt sich an Bord, setzt sich hin, die Füße rechts und links von der Leiche, und hakt die Ruder in die Dollen. Er stemmt die Beine gegen die Ruderbank, spannt jeden Muskel an, mobilisiert alle Kraftreserven, um gegen Dünung und Wind in Fahrt zu kommen. Schließlich setzt sich das Boot in Bewegung, und er findet einen Rhythmus mit den Rudern, entfernt sich allmählich vom Strand, wo Dawn in der Dunkelheit verschwindet.
Mit klappernden Zähnen und völlig durchnässt von den Wellen, die gegen das Boot klatschen, passiert Exley die mit Guano bedeckten Felsen, die Möwen darauf wie vereinzelte Schrapnelle vor dem Nachthimmel. Dann hat er die Brandung überwunden, der Ozean wird ruhiger, und er kommt schneller voran. Die glitzernden Lichter von Llandudno verschwimmen in der Gischt, die der Sturm Richtung Land treibt.
Als er weit genug draußen ist, holt Exley die Ruder ein und bleibt einen Moment sitzen, um seine Kräfte zu sammeln, starrt auf den Toten hinunter, während das Boot schaukelt und knarrt.
Bei dem Gedanken, dass dieser Mann, der seine Tochter hat sterben lassen, nun selbst tot ist, empfindet er nicht genug Befriedigung, um den Schmerz über Sunnys Tod zu lindern oder seine eigene Schuld auszulöschen. Und auch das Wissen, dass jetzt alle tot sind, die Exleys Schuld hätten bezeugen können, gibt ihm wenig Trost.
Er rafft sich auf und hält Ausschau nach den Lichtern irgendwelcher Boote in der Nähe. Als er keine entdeckt, hebt er Vernons Beine an und klappt sie seitlich über den Bootsrand. Dann geht Exley hinter der Leiche in Position, stemmt den Rücken gegen das Dollbord und schiebt den Rest von Vernons Körper mit den Füßen ins Wasser.
Mit offenem Mund, keuchend, gierig salzige Luft trinkend, zieht er sich an den Bootsrand. Im Mondlicht sieht Exley Vernon Saul mit dem Gesicht nach unten auf dem Wasser treiben, die Arme ausgebreitet, ehe er im Ozean versinkt, und dann ist bloß noch die schwarze Weite des Wassers da, die sich bis zur Antarktis erstreckt.
KAPITEL 56
Dem Himmel sei Dank, dass das hier ein Luxushaus ist. Dawn wäscht die blutbespritzten Wohnzimmerwände ab, und die weiße Farbe – dick und samtig – lässt sich mühelos reinigen. Draußen in den Flats müsste sie bis auf die nackten Ziegel schrubben, um das Blut abzukriegen. Trotzdem, als sie die Wände schließlich von Vernons Schweinerei befreit hat, ist sie in Schweiß gebadet.
Und noch warten die blutverkrusteten weißen Bodenfliesen auf sie. Sieht aus wie eine Eisbahn nach einem ziemlich üblen Hockeyspiel.
Sie schmeißt die blutigen Lappen und Papiertücher in einen Müllsack, streift die orangenen Handschuhe ab, die sie an der Spüle in der Küche gefunden hat – das Gummi macht ein klatschendes Geräusch, als es sich von ihren Händen löst –, und geht die Treppe hinauf.
Dawn betritt das Gästezimmer und kniet sich neben das Bett. Einen Moment lang bekommt sie Panik, weil der Wind so laut heult, dass sie Brittany nicht atmen hören kann, und sie legt sacht die flache Hand auf die Brust ihrer Tochter, spürt, wie sich ihre Lungen ausdehnen.
Das Kind stöhnt, und seine kleine Hand huscht über die Bettdecke wie eine Krabbe und packt Dawns Daumen, drückt ihn fest. Dawn küsst Brittany auf die Stirn, riecht Seife und Shampoo, und wartet, bis die Finger sich lockern, ehe sie ihre Hand wegzieht und aufsteht, ein paar Tränen abwischt, die ihr über die Wangen gerollt sind.
Dafür ist jetzt keine Zeit, Dawn.
Sie geht wieder nach unten, und als sie die Schiebetür zur Veranda öffnet, reißt der Wind ihr an den Haaren wie eine Furie. Sie schlägt die Tür hinter sich zu und tritt an das Geländer. Nasse Schaumfetzen treiben im Sturm heran. Sie sieht nach, ob ihre Zigaretten unddas Feuerzeug noch da sind, wo sie sie einige Zeit zuvor hingelegt hat. Ja, da sind sie, dicht an dem Holzpfosten,
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