Stiller
verwandelt hatte, ja, nach seinem Verhalten zu schließen, handelte es sich wirklich nur um eine schöne, seltsame, tote Vase, womit Stiller verheiratet war, um ein Etwas, das nur vorhanden war, wenn er daran dachte, und Stiller hatte zur Zeit gar keine echte Lust, daran zu denken. Ob es anderseits viel ergiebiger war, was Sibylle von ihrem Rolf erwähnte? Jedenfalls meldete sie eines nicht: daß Rolf, ihr Mann, an jenem Abend in London weilte und erst am nächsten Tage heimkehren würde. Wozu sollte sie Stiller damit irritieren! Es irritierte sie selber schon genug, um diese ›Freiheit‹ zu wissen ... »Hat dir Sturzenegger einmal unsere Pläne gezeigt?« fragte sie, und damit, siehe da, kam es plötzlich zu einem vernünftigen Gespräch, denn Stiller entpuppte sich als ein leidenschaftlicher Anhänger moderner Architektur, wußte auch einiges, jedenfalls genug, um Sibylle zum erstenmal an ihrem eigenen Bau zu interessieren, ja begeistert zu machen, begeistert von ihrem künftigen Haus. Es war (so sagt sie) ein dermaßen schönes, sachliches, vernünftiges Gespräch, daß Stiller ohne weiteres sagen konnte: »Du bleibst doch zum Abendessen?« Eigentlich, versteht sich, hatte Sibylle nie und nimmer daran gedacht, zum Abendessen zu bleiben, höchstens mit der Möglichkeit gerechnet, daß man irgendwo in der Stadt zusammen essen würde. »Kann ich dir etwas helfen?« fragte sie etwas verlegen, als Stiller bereits eine Pfanne mit Wasser füllte, nach wie vor von Architektur sprechend, und dann diese Pfanne auf den altertümlichen Gasherd stellte. »Magst du Reis?« erkundigte er sich nebenbei, Feuer zündend. Natürlich war Sibylle entschlossen, spätestens gegen neun oder zehn Uhr, allerspätestens, aufzubrechen. »Reis?« antwortete sie endlich, »das ist ja wunderbar!« Die Zutaten zu einem einigermaßen spanischen Reis, und zu Ehren des Stierkampfes kam nur ein spanischer in Frage, mußte Stiller allerdings noch beschaffen; es eilte, sonst würden ihm die Läden vor der Nase geschlossen. Nach einem kurzen Blick in sein Portemonnaie, das offenbar nicht jederzeit gefüllt war, entfernte sich Stiller, ließ seine Besucherin allein im Atelier ... Sibylle war es in dieser halben Stunde etwas seltsam zumute. Was wollte sie? Und was wollte sie nicht? Nun hatte sie ja Bedenkzeit. Sie stand am großen Fenster, wo man auf das Großmünster sah, undrauchte, versuchte sich zu erinnern, wo sie ihren Wagen, Rolfs Wagen, geparkt hatte, und konnte sich nicht erinnern, so viel anderes ging ihr durch den Kopf. Lächerlich! Ein Abendessen in einem Atelier, was war denn dabei? Sibylle war damals achtundzwanzigjährig. Zweimal in ihrem Leben hatte sie geliebt, nicht mehr und nicht weniger, und jedesmal war es ein Einbruch in das Leben gewesen, in das Leben des andern. Der erste Mann, den sie liebte, ein Professor, dem sie ihre Maturität verdankte, ließ sich scheiden, und der zweite Mann heiratete sie. Zu bloßer Spielerei war sie nicht begabt. Oder ließ sich das lernen? Ein kreuzfideler Maskenball-Pierrot, so wie sie Stiller vor drei Wochen erlebt hatte, dazu ein Künstler, also ein Mensch ohne besondere Moral, ein voraussichtlich recht erfahrener Keckling mit so viel Kultiviertheit immerhin, daß er später keine Namen nennt, mag sein, das wäre just das Richtige gewesen, um Rolf, ihrem selbstsicheren Gatten, einmal den lange schon nötigen Schrecken einzujagen. Nur: Stiller war alles andere als ein Keckling, schien es. Je näher sie ihn kennenlernte, um so scheuer war er, um so sympathischer, und in Wirklichkeit, hier in seinem Atelier, war von einem kreuzfidelen Pierrot nicht mehr viel zu merken. Stiller war ein witziger, doch heimlich sehr bedrückter Mann, einer, der unsichtbare Banderillas im Nacken hatte und blutete. Auch war er verheiratet. Warum wohnten sie nicht zusammen, Stiller und diese Balletteuse? Es war alles sehr unklar. War das nun eine gescheiterte Ehe oder eine vollkommene? Keinesfalls war es einfach. Was würde geschehen, wenn Sibylle ihn wirklich liebte? Und diese Gefahr bestand. Dann wieder sagte Sibylle zu sich selbst: Unsinn! und stellte die Gasflamme etwas kleiner, da das Wasser mit Reis bereits kochte. Wie verschieden Männer sein können! Es war Sibylle noch nicht vorgekommen, daß ein Mann für sie einkaufte und kochte, all dies ohne im mindesten zu fragen, was er einkaufen und wie er kochen sollte. Einmal klingelte übrigens das Telefon. Natürlich nahm sie nicht ab. Das Klingeln hatte Sibylle
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