Stiller
endlich, Gott sei Dank, so ein Spanischer Bürgerkrieg losgeht!« Sibylle verstand. »Irun«, erzählte er, »das war die erste Dusche. Ich werde diesen kleinen Kommissär nie vergessen. Für den war ich nun gar keine Hoffnung! Er sagte es nicht, aber er blickte mich an wie eine Niete. Was ich unter Marxismus verstand, war Lyrik. Immerhin: ich hatte schon eine Rekrutenschule hinter mir, Ausbildung im Handgranatenwerfen, Kenntnis des Maschinengewehrs. Und dann hatte ich noch einen Freund, einen Tschechen, der für mich bürgte –« Stiller erzählte sehr langsam, füllte sein Glas mit Chianti und hielt es, ohne zu trinken. »Zaragoza«, fuhr er fort, »das war die zweite Schlappe. Ich meldete mich als Freiwilliger, wir waren abgeschnitten, und jemand mußte versuchen, durch das feindliche Feuer zu kommen. Ich meldete mich als Erster. Aber sie nahmen mich nicht! Da stehe ich nun, ein Freiwilliger, den man stehen läßt ... Kannst du dir vorstellen, wie mir zumute war?« – »Warum nahmen sie dich nicht?« – »Sie zögerten herum, bis ein andrer sich meldete, mein Freund, der Tscheche, das war einer, der nicht seinen Tod suchte, sondern ein wirklicher Kämpfer ... Das ist es ja doch«, meinte Stiller, »eigentlich suchte ich damals bloß meinen Tod. Ohne es zu wissen, mag sein; aber man roch es mir an. Bei Fliegerangriffen war ich’s, der nicht in Deckung ging, und hielt es für Mut! Und drum ist es dann auch so gekommen, siehst du, damalsam Tajo –« Nun hoffte Sibylle natürlich, die eigentliche Geschichte zu hören, aber vergeblich. Dann ging Stiller jedesmal um den Brei herum, verzögerte sich in Nachträgen und Ergänzungen, dann wieder in einer umständlichen Topographie von Toledo, ein andermal in politischen Glossen. »Kurz und gut«, sagte er, »da lagen wir also in diesem öden Tälchen – wir Banditen, wie eure Zeitungen uns damals nannten. Rebellen und Banditen! Man vergißt ja so leicht, wie’s in Wirklichkeit gewesen ist, wie unsere liebe Schweiz damals getönt hat, unsere bürgerliche Presse. Welche Heldenverehrung für die Faschisten!« – »Wirklich?« fragte Sibylle ohne Interesse, »daran kann ich mich nicht erinnern. Damals ging ich noch in die Töchterschule!« – »Aber du kannst es mir glauben«, lächelte Stiller, »ich habe eure Schweiz kennengelernt, damals in Spanien. Reden wir nicht davon! Übrigens wird es immer wieder so sein, sie sekundieren dem Faschismus, wie jede Bourgeoisie, offen oder heimlich. Heute entrüsten sie sich über Buchenwald und Auschwitz und diese Sachen; wir wollen sehen, wie lange! Heute waschen sie ihre Hände in schweizerischer Unschuld, speien auf Deutschland und haben es schon immer gewußt. Schon zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges, als wir die Banditen waren, zusammen mit Casals und Picasso und einigen anderen, die sie heute bejubeln, schon immer war die Schweiz gegen den Faschismus! Warten wir ab ...« lachte Stiller, erhob sich, um den übervollen Aschenbecher zu leeren, und Sibylle wunderte sich über seinen Ton. »Nimmst du noch einen Kaffee?« fragte er zwischenhinein. »Es ist komisch«, fand Sibylle, »wie böse du jedesmal wirst, wenn du von der Schweiz redest!« Sie war gleichfalls aufgestanden, um ihm näher zu sein, ja, gerade weil sie das Gefühl hatte, daß es Stiller zu dieser Kaffeekocherei nur drängte, um sich von ihr entfernen zu können. »Warten wir ab«, sagte er und stellte die Wasserpfanne auf, »bis Deutschland, unser tüchtiger Nachbar, wieder das große Geschäft ist! Und wenn die es nochmals mit Faschismus versuchen, an der Schweiz wird’s nicht fehlen, sie wird sekundieren. Glaub mir! Es ist ja klar; ein Land, das aufrüstet, ist anfänglich für seine Nachbarn immer ein herrliches Geschäft. Dann halte den Mund! Und glaube, was in unseren Zeitungen steht; sie lehren dich schon, wer die Banditen sind. Genau wie damals! Bis der freundliche Nachbar unseren Käse nicht mehr frißt oder unsere Uhren nicht braucht, weil die Zeit fortan nach seinen Uhren geht, dann das große Geschrei, o ja, das Ende der Freiheit, das Ende des Geschäftes, dann plötzlich sind wir wieder der ewige Hort der Humanität, wie immer, die Inhaberdes Friedens, die Priester des Rechts – zum Kotzen«, sagte Stiller, »du entschuldigst, aber es ist so.« In seinem Grimm vergaß er ganz und gar, die Gasflamme anzuzünden, Sibylle bemerkte es, ohne ihn zu unterbrechen, denn sie wollte gar keinen Kaffee. »Wir sind eine Saubande«, sagte er, und seine
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