Stiller
Stieres bohren, um seine Kampfwut auszulösen. Sibylle zog unwillkürlich ihren Hut ab; die Fontäne von pulsendem Blut, von purpurnem Blut, das nun über das schwarze Fell des keuchenden Tieres strömt und glänzt, machte sie ganz nervös. Sibylle versicherte, sie könnte sich nie einen wirklichen Stierkampf ansehen. Aber das änderte für Stiller, den ehemaligen Spanienkämpfer, nichts daran, daß der verwundete Stier nun angriff, und als die alte Schindmähre, die der wütende Stier auf seine Hörner genommen hat, mit aufgeschlitztem Bauch und mit einer nachgezogenen Girlande von Gedärmen aus der Arena geschleift wird, mußte Sibylle sich setzen. »Hör auf!« sagte sie mit beiden Händen vor dem Gesicht. Aber nun, meinte Stiller, kommt ja die unvergleichlich schöne und elegante Phase mit eben diesen bunten Banderillas, wonach Sibylle sich erkundigt hatte, und da Sibylle auf der Couch sitzenblieb, mußte Stiller wohl die Rolle wechseln, überließ den Stier nun ihrer Vorstellung, um die Verwendung dieser Banderillas zu demonstrieren. Stiller nahm die Spießlein aber nicht von der Wand, wie gesagt, er schien sie zu fürchten, als hätte er persönlich schon die Erfahrung eines Stiers gemacht. Er demonstrierte also ohne Requisit; nämlich: beide Arme empor, so graziös als möglich, den gestreckten Körper ganz auf die Fußspitzen gestellt, um Höhe zu haben, Bauch eingezogen, damit der anlaufende Stier mit seinen spitzen Hörnernihn nicht erwischt und nicht aufschlitzt, und dann, jetzt mußte Sibylle genau hinsehen, dann wie ein Blitz hinein mit den beiden bunten Spießlein, hinein in den Nacken, nicht einfach in den Stier hinein, sondern genau in den Nacken, graziös, präzis. Sibylle hatte Mühe, seine Bewunderung zu teilen; er sagte immer: »Das ist schon etwas!« und ließ keine Ruhe, bis sie wenigstens mit Nicken anerkannte, daß Grazie angesichts der Todesgefahr schon eine Leistung sei. »Und der Stier?« fragte sie mit einem parteiischen Unterton. »Und der Stier?« Der hat nun wohl gemerkt, daß es auf Leben und Tod geht und daß er keine andalusischen Äcker mehr pflügen wird; von Blut überströmt, im Nacken eine baumelnde Garbe von sechs solchen Banderillas, die mit Widerhaken in seinem Fleisch hängen, steht der Stier mit ersten Anzeichen von Ermattung und wehrt sich gegen seinen Schmerz, schüttelt seine Garben von bunten Spießen, aber vergeblich. Stiller zeigte ihr die Widerhaken an den beiden Banderillas. »Und das soll schön sein?« fragte sie. Stiller nannte es nicht ›schön‹, aber etwas daran, schien es, faszinierte ihn, etwas Schmerzliches auch, fast etwas Persönliches. Er nahm, im Gegensatz zu der Dame, betontermaßen keine Partei; aber er erlebte es sehr von der Seite des Stiers, griff einmal an seinen Nacken, als hätte er diese Garbe von bunten Banderillas erfahren. Und so, meinte er sachlich, geht es in die letzte Runde. Sibylle sah sie sich von der Couch aus an, unfähig, ihre lange schon zwischen die Lippen gesteckte Zigarette anzuzünden. »Danke dir«, sagte sie und zeigte ihr Dunhill-Silber, »ich habe schon Feuer.« Also die letzte Runde! Stiller etikettierte sie: Grazie gegen rohe Kraft, Licht gegen Finsternis, Geist gegen Natur. Der Geist erscheint als silbernweißer Matador, die blanke Klinge unter dem roten Tuch, nicht um zu töten, o nein, sondern um zu siegen, um die Figuren äußerster Todesgefahr zu bestehen, eine nach der andern, ohne je einen Schritt zurückzuweichen, Eleganz ist alles, Feigheit ist schlimmer als Tod, es geht um einen Sieg des Geistes über das tierische Leben, und dann erst, wenn er seine Gefahren bestanden hat, dann erst darf er seine Klinge gebrauchen; Stille füllt die Arena, der Stier mit aller Wut der Erschöpfung erkennt nochmals das rote Tuch, nimmt einen Lauf, der silber-weiße Matador bleibt stehen, und die Klinge, ja, sie steckt, das Volk tobt vor Beifall, und der Stier steht mit gespreizten Beinen, wartet, plötzlich knickt er vornüber oder bricht zur Seite, um zu sterben; seine Augen verdrehen sich, seine Beine strecken sich, der Rest ist ein regloser Klumpen, eine schwarze Masse, Hüte wirbeln in die Arena hinunter, Blumen, Damenhandschuhe,Zigarren, Korbflaschen, Orangen ... Dann endlich brauchte Sibylle ihr silbernes Dunhill-Feuerzeug, und das Gespräch war wieder offen –
Zu Zärtlichkeiten kam es nicht.
»Deine Frau ist Tänzerin?« fragte Sibylle irgendwann einmal, ohne viel zu erfahren von dieser Frau, die Stiller in eine Vase
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