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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Erinnerung an den Maskenball, also wie eine heimliche Erinnerung an einen Traum, wovon der andere nichts weiß. Daher eben diese Befangenheit, diese Verlegenheit des Gesprächs! ... »Hier also arbeitest du?« fragte Sibylle und fand es selber eine blöde, eigentlich überflüssige Frage. Sie schlenderte zwischen Skulpturen umher, nicht ohne Bangnis gefaßt darauf, daß Stiller gelegentlich seine Werke vorführen würde. »Du weißt«, sagte sie, »daß ich nichtsvon Kunst verstehe?« – »Mein Glück«, sagte er hinter dem Vorhang und lenkte selber ab. »Du bedienst dich, nicht wahr? Der Cinzano ist zum Trinken gemeint.« Sibylle bediente sich. Sie stand mit dem Gläslein in der Hand vor irgendeinem Gips, als Stiller, nunmehr rasiert, hervortrat und sagte: »Das ist meine Frau.« Es war ein Kopf auf einem langen, säulenhaften Hals, eher eine Vase als eine Frau, seltsam, und Sibylle war froh, daß keine Äußerungen von ihr erwartet wurden. »Ist das nicht furchtbar für deine Frau?« fragte sie immerhin, »ich fände es furchtbar, wenn du mich so in Kunst verwandeln würdest!« Und damit war das Gespräch über seine Arbeit eigentlich erledigt, ohne daß sich ein anderes ergab; sie standen nun, als wären sie da, um Cinzano zu kosten, nichts weiter, beide um einige Grade blöder, als sie in Wirklichkeit waren, und all dies vermutlich nur aus begreiflicher Furcht, daß sie bei der leisesten Berührung neuerdings in Zärtlichkeiten verfallen würden, ohne einander wirklich kennenzulernen. »Warum interessiert dich das«, fragte Stiller, »das mit dem russischen Gewehr?« Es interessierte Sibylle nicht mehr und nicht weniger als irgend etwas aus seiner unbekannten Vergangenheit. Es war Stiller, der nicht von Spanien loskam, scheint es, von den verblaßt-bunten Banderillas mit ihren spitzen Widerhaken. Um nicht die Geschichte mit dem russischen Gewehr erzählen zu müssen, die ihm offenbar peinlich war, hatte Stiller nun begonnen, einen spanischen Stierkampf zu schildern, und zwar genau, er stellte seinen Cinzano irgendwohin, um freie Hände zu haben. Die beiden gekreuzten Banderillas nahm er übrigens nicht von der Wand; er schien sie zu fürchten. »Jaja«, sagte Sibylle ab und zu, »ich verstehe –!« Stiller schien von der Stierkämpferei sehr fasziniert zu sein, und Begeisterung, fand Sibylle, stand ihm vortrefflich, besser als jede Larve. »Und jetzt«, erklärte Stiller, »jetzt kommt der Matador –!« Für Sibylle war der Stier schon lange tot. »Wieso erst jetzt?« meinte sie, »wenn der Stier tot ist?« Sie hatte nicht aufgepaßt, jedenfalls nicht auf den Stierkampf, sondern nur auf sein Gesicht; Stiller mußte die ganze Reportage von vorn beginnen. Warum war es so unerläßlich, daß Sibylle sich einen spanischen Stierkampf vorzustellen vermochte? »Paß auf!« sagte Stiller, »– ich bin der Stier.« Er stellte sich mitten ins Atelier, und Sibylle mußte sich aus dem Schaukelstuhl erheben, um die Rolle des Torero zu übernehmen. Sie lachte über diese Rollenverteilung. Sibylle hatte gar kein Bedürfnis, einen Stier zu töten. Stiller fand sie durchaus in Ordnung, diese Verteilung der Rollen; Sibylle brauchte nicht einmal ihr Hütchen abzulegen, im Gegenteil,ein Torero kann nicht zierlich genug sein. Also erstens: Der Stier kommt in die Arena, und Sibylle mußte sich vorstellen: ringsum die blendende Helle des besonnten Sandes, Leben und Tod, Helle und Schatten teilen die Arena, ringsum Arkaden voll Volk, bunt wie ein Beet und schwirrend von Stimmen, die nun verstummen, denn nun tritt Sibylle, der Torero, etwas näher. Eigentlich sind es mehrere, die den Stier mit ihren roten Tüchern reizen, doch Stiller begnügt sich jetzt mit Sibylle. Der Stier, schwarz wie Pech, steht in der Mitte wie in einem riesenhaften Trichter, und der Kampf beginnt spielerisch, geradezu balletthaft, die geschwenkten Tücher übrigens sind nicht sehr rot, vielmehr von der Sonne gebleicht und eher rosa, aber kurz und gut, der Stier weiß nicht recht, was er soll, und wehrt sich nur beiläufig, stößt mit seinen Hörnern ins Leere, stoppt plötzlich seinen Lauf, so daß Staub aufwölkt. Bis hierher war’s eine Neckerei, nichts weiter, ein Flirt, und ebensogut könnte man aufhören, der schwarze Stier ist unverletzt und könnte irgendwo einen Pflug über andalusische Äcker ziehen. Sibylle fand es scheußlich, als er von den Picadores erzählte, die nun auf ihren erbärmlichen Schindmähren kommen und ihre Lanze in den Nacken des

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