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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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in Bronze bleibt, ist nicht genug, um Zeugnis eines erwachsenen Mannes zu sein. Kein Wunder, daß Stiller (einmal muß er es ja auch gesehen haben) gegangen ist! Ein einziger Umblick in diesem verstaubten Atelier: Wieviel Arbeit, ach, wieviel Verbissenheit, wieviel Fleiß und Schweiß, und doch ist es nicht so, daß man auch nur davor die Mütze abzuziehen ein Bedürfnis hat. Etwas melancholisch ist es, nichts weiter – und ich bin froh, daß es neuerdings klingelt. Der Staatsanwalt wird ungehalten: Knobel soll hinuntergehen, um die Herrschaften, da sie allem Anschein nach die Haustüre nicht öffnen können, hereinzulassen und heraufzuführen, aber etwas rasch. Mein Wärter, nicht zu Unrecht beleidigt, da er ja nach Kräften gedrückt hat, geht zur Türe und gewahrt den alten Hausierer, der unterdessen wohl die anderen Etagen bedient hat, jetzt endlich vor unserem Atelier steht, ein offenes Köfferchen auf dem zittrigen Arm. Damit haben wir natürlich alle nicht gerechnet, der Hausierer aber auch nicht mit uns. Nein! sagt Knobel ungehalten, wie man ungehalten war zu ihm: Nichts! Natürlich hat der Hausierer keine Ahnung, daß wir nicht die Bewohner dieses Estrichs sind, daß hier seit sechs Jahren überhaupt kein Leben mehr stattfindet, und beharrt auf dem Recht, seine Ware wenigstens zu zeigen, lauter nützliche Ware, was Knobel nicht zu bestreiten wagt. Angesichts der drei Herren empfiehlt er vor allem Rasierklingen, Rasierseife, Blutstiller und so, Knobel will es kurz machen, damit der Herr Staatsanwalt nicht nochmals ungehalten wird; auf der anderen Seite kann der Hausierer nicht begreifen, daß wir hier ohne Zahnbürste leben können, zu dritt ohne eine einzige Zahnbürste, ohne Fliegenfänger, ohne Klosettpapier und ohne Schuhwichse, ohne alles, vor allem aber ohne Rasierklingen. Knobel wird das Greislein nicht los. Als zweifle er nachgerade an unserer Männlichkeit, steckt er alles Bisherige zurück, der Hausierer, um es mit Pfannebürstchen zu versuchen, mit Nähzeug, mit elastischem Strumpfband, mit ganz feinem Fichtennadelöl und schließlich sogar mit Haarspangen, einer Ware, die immer wieder verlorengeht, immer wieder gebraucht wird. Knobel sagt nur: Also Schluß jetzt, also Schluß jetzt! jedoch ohne auch nur einen Ansatz von Erfolg. Schließlich greift mein Staatsanwalt ein, kauft in überlegener Art irgend etwas, Rasierklingen beispielsweise, und wir sind wieder allein, jedoch noch immer ohne die anderen Lokaltermin-Herrschaften, die also (es schlägt ein Viertel vor drei) noch nicht einmal an der Haustür geklingelt haben.
    »Um halb vier habe ich eine Sitzung«, sagt Rolf und fügt etwas zusammenhanglos hinzu: »Das ist doch ein schönes Atelier –?« Ich nicke sehr. »Und sehr gutes Licht.«
    Dann macht sich Knobel, um nicht so überflüssig zu sein wie eben vor dem Hausierer, mit seiner Kenntnis der örtlichen Verhältnisse etwas wichtig oder nützlich, indem er zwar nicht zu mir, doch zum Staatsanwalt sagt:
    »Hier geht’s auf die Zinne.«
    Und da uns nichts auf die Zinne drängt:
    »Hier ist dann noch Post, Herr Staatsanwalt, die Post seit letzten Samstag –«
    »Post?«
    »Drucksachen«, sagt Knobel und liest: »Alters- und Hinterbliebenen-Versicherung, aber da hat Herr Doktor Bohnenblust schon die ganze Zusammenstellung der nichtbezahlten Beiträge. Und dieser Brief an Herrn Stiller persönlich –«
    Da mir ja nicht einfällt, Briefe an ihren verschollenen Stiller zu lesen, gestattet sich mein Freund und Staatsanwalt, den Umschlag aufzuschlitzen. Nach seiner Miene zu schließen scheint es belanglos zu sein. Nur aus Gründen der Ordnung wirft er den Brief nicht in den Papierkorb.
    »Ein anonymer Patriot beschimpft Sie«, sagt er kurz. »Man nimmt es Ihnen sehr übel, daß Sie die Möglichkeit, Schweizer zu sein, nicht wie eine Gnade ergreifen – also bedingungslos.« Später, da die Erwarteten immer noch nicht klingeln, treten wir doch auf die Zinne hinaus, die ebenfalls, verglichen mit den Erinnerungen der Frau Staatsanwalt, unverändert zu sein scheint. Scherben von Ziegeln, die einmal ein Hagelwetter zerschlagen hat, liegen umher und zeigen, daß sie niemand stören. Das Unkraut auf dem Kiesklebedach dürfte höher sein als je; ein paar herbstlich gelbe Halme wippen im Wind. Auch mein Freund und Staatsanwalt scheint all dies nicht viel anders erwartet zu haben, besichtigt das morsche Gestell eines tuchlosen Lehnsessels, das nach wie vor in der Ecke liegt, und wir stehen ziemlich stumm,

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