Stiller
muß: daß Sie mir glauben, was ich nicht erklären, geschweige denn beweisen kann. Nur darauf kommt es jetzt an. Wenn Sie mein Freund sind, dann müssen Sie auch meinen Engel in Kauf nehmen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie müssen es glauben können, daß ich nicht der Mensch bin, wofür man mich hält und wofür auch Sie als Staatsanwalt mich halten – Ich bin nicht Stiller«, sage ich weiß Gott nicht zum erstenmal, aber zum erstenmal mit der Hoffnung, daß einer es hört, »ich bin es nicht, ganz im Ernst, und ich kann kein Geständnis machen, das mein Engel mir verboten hat.«
Das hätte ich nicht sagen sollen.
»Engel –?« fragt er. »Was meinen Sie damit?«
Ich schweige. Dann kommt die Rechnung, die der Staatsanwalt bezahlt,und da unser Bauernfräulein wieder nicht gehen mag, sind wir es, die gehen. Unsere Schritte knirschen im Kies. Im offenen Wagen, bevor der Staatsanwalt ihn anläßt, blicken wir nochmals über die mittägliche Gegend, über die braunen Äcker mit flatternden Krähen, über Reben und Wälder, über den herbstlichen See, wobei mir bewußt ist, daß mein Staatsanwalt und Freund noch immer auf die Antwort wartet. Als er den Motor anläßt, sage ich:
»Davon kann man nicht reden.«
»Von dem Engel – meinen Sie?«
»Ja«, sage ich, »sobald ich ihn zu schildern versuche, verläßt er mich, dann sehe ich ihn selber nicht mehr. Es ist ganz komisch; je genauer ich ihn mir vorstellen kann, je näher ich dazu komme, ihn schildern zu können, um so weniger glaube ich an ihn und an alles, was ich erlebt habe.«
Wir fahren am See entlang in die Stadt.
– – –
3. Der Nachmittag.
Etwa ein Viertel nach zwei Uhr, verspätet also, da in der Altstadt kaum ein Parkplatz zu finden ist, kommen wir vor ›das Haus‹, das sich von anderen Häusern dieser Gasse lediglich dadurch unterscheidet, daß Knobel davorsteht, mein Wärter in Zivil. Wir sind die ersten. Knobel sagt ausschließlich zu meinem Staatsanwalt: Die Schlüssel habe ich! In einem dunklen, etwas muffigen Hausflur stehen Fahrräder, ein ziemlich antiquarischer Kinderwagen, Kehrichteimer. Knobel hat die Schlüssel nicht in seiner Rocktasche, sondern nimmt sie aus einem blechernen, ehemals gelben und jetzt ziemlich rostigen Briefkasten, wo ich die Anschrift lese: A. Stiller. Keine Angabe des Berufes. Aus einem Hinterhof lärmt es wie von einer Spenglerei, vielleicht auch Schlosserei; ich sehe vermoostes Kugelpflaster und die lange schon kahlen Zweige eines Ahorn, der wohl nur an sommerlichen Mittagen etwas Sonne hat, ferner ein wasserloses Brünnlein aus ebenfalls vermoostem Sandstein, alles nicht ohne Idyllik. Ferner: Bündel von eisernen Röhren, kürzere und längere, eines dieser Röhren-Bündel trägt noch das rote Wimpelchen vom Transport auf dem Lastwagen. Dann aber sagt Rolf, mein Freund, der zum erstenmal in diesem Haus zu stehen scheint:
»Ich denke, wir gehen schon hinauf –!«
Da ich meinerseits keinerlei Führung übernehme, zeigt Knobel auf die einzige vorhandene Treppe aus altem und ausgetretenem Nußbaum, einepatrizierhafte Treppe, breit und gar nicht steil, Geländer mit wurmstichigen Voluten. In der vierten Etage, wo es nach Sauerkraut riecht, hört diese Treppe auf, Knobel belehrt den Herrn Staatsanwalt, daß es weitergehe, öffnet einen Verschlag und bittet uns auf eine schmale, plötzlich sehr steile Tannentreppe. Sie nehmen mich stets in die Mitte, zufällig oder mit Absicht. Der wortkarge Ernst vor allem von Knobel, der mich seit heute vormittag schneidet, ist komisch, doch auch mein Freund und Staatsanwalt ist stumm in einer Art, als nähere man sich einem Blutort mit ungewisser Anzahl von Leichen.
»Ja –«, sagt er, oben angekommen, wiederum halb zu mir und halb zu Knobel, »hoffentlich kommen die andern Herrschaften auch bald ...«
Hier sind drei Türen zu sehen, die erste ist mit einem Malerschloß versehen, die zweite mit einem scherzhaften Signum, das auf Abort deutet, die dritte endlich führt in das Atelier ihres Verschollenen. Knobel schließt auf, als Beamter in Dienst geht er voran, während der Staatsanwalt zu mir sagt: Nach Ihnen! Um nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich mich hier irgendwie zu Hause fühle, nehme ich diese Höflichkeit sofort an, spüre übrigens auch, daß Rolf, mein Freund, in diesem Augenblick viel befangener ist als ich, nervöser, als ich ihn je erlebt habe. Kaum in dem Atelier, fragt er mich:
»Wo ist die Garderobe –«
Knobel zeigt auf einen Nagel an der blauen
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