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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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    Herr Dr. Bohnenblust (so heißt mein Verteidiger) hat die Dame aus Paris, die sich für meine Gattin hält, auf dem Flugplatz abgeholt und ist von dieser Person, scheint es, sehr charmiert.
    »Ich wollte Ihnen nur melden«, sagt mein Verteidiger, »daß die Dame glücklich gelandet ist. Sie läßt Sie natürlich grüßen –«
    »Danke.«
    »Jetzt ist sie im Hotel.«
    Mein Verteidiger ist außerstande, sich zu setzen, er kann sich nur die Hände reiben vor Triumph, als wäre diese Dame aus Paris gleichsam das große Geschütz, das mich zur Kapitulation zwingen wird.
    »Herr Doktor«, sage ich, »ich habe nichts gegen den Besuch von Damen, ich wiederhole nur meine Warnung von neulich: ich bin ein sinnlicher Mensch, hemmungslos, wie gesagt, vor allem in dieser Jahreszeit.«
    »Ich sagte es ihr.«
    »Und?«
    »Die Dame besteht darauf«, sagt er, »Sie unter vier Augen zu sprechen. Montag um zehn Uhr wird sie hier sein. Sie ist überzeugt, ihren Mann etwas besser zu kennen, als er sich selber kennt, und von Hemmungslosigkeit, meint die Dame, könne nicht die Rede sein, das sei von jeher ein Wunschtraum ihres Mannes gewesen, sagt die Dame und ist gewiß, allein mit Ihnen fertig zu werden.«
    Dazu bietet er wieder Zigarren an.
    »Montag um zehn Uhr?« sage ich, »– bitte.«
     
     
    Knobel, mein Wärter, ist nachgerade ärgerlich über meine Fragen, die Dame aus Paris betreffend, die mit mir verheiratet sein will.
    »Ich sage ja«, murrt er, »elegant sieht sie aus. Und duften tut sie durch den ganzen Korridor.«
    »Und ihre Haare?«
    »Rot«, sagt er, »wie Hagebutten-Konfitüre.«
    Eine wirkliche Schilderung zu liefern, ist er nicht imstande, auch wenn er mir Frage um Frage beantwortet; je mehr ich höre, um so weniger kann ich sie mir vorstellen.
    »Essen Sie jetzt!« sagt er, »Sie werden sie ja selber sehen. Vielleicht ist die Dame gar nicht Ihr Typ, obschon sie nach wie vor behauptet, Ihre Gattin zu sein.«
    »Mein Typ!« lache ich, »– habe ich Ihnen einmal die Geschichte mit der kleinen Mulattin erzählt?«
    »Nein.«
    »Das war mein Typ«, sage ich.
    »Eine Mulattin?«
    »Es war am Rio Grande«, beginne ich in einem Ton, daß Knobel sich setzt, »plötzlich – Brot haben Sie keins?« unterbreche ich mich selbst, worauf Knobel sofort aufsteht und einen halben Laib auf den Tisch legt; ich schneide eine dicke Scheibe, beiße hinein, während Knobel sich wieder setzt, und warte, bis ich den Mund etwas leerer habe; dann fahre ich fort, »plötzlich – wir hockten gerade um unser Feuer, denn die Abende in der Wüste sind bitterkalt, natürlich gab es weit und breit kein Holz, wir verbrannten Putzfäden, was mehr Gestank als Wärme gibt, und besprachenmit den Schmugglern, wie sie uns in der Nacht über die Grenze schmuggeln könnten, nämlich da war schon wieder so ein Steckbrief auf mich – plötzlich kommt er um die roten Felsen!«
    »Wer?«
    Mit einem Mund voll Brot kann man natürlich nicht erzählen, dazu die Minestra, die ich löffeln muß, solange sie heiß ist.
    »Wer?« fragt Knobel, »wer kam um die Felsen?«
    »Eine Limousine«, sage ich endlich und kann es nicht lassen, einen neuen Bissen von dem herrlichen Brot zu nehmen, »eine gestohlene natürlich. Großartiger Anblick übrigens, wie eine Fahne von goldenem Staub. Von wegen der letzten Abendsonne. Eine Limousine, die quer durch die Wüste rast, schaukelt wie eine Jolle, versteht sich, hinauf und hinunter über die Wellen von Sand.«
    »Versteht sich.«
    »Natürlich hat er unser Feuerchen gesehen.«
    »Und?«
    »Schuß!« sage ich, »aber der Kerl fährt weiter, und wir denken natürlich, das ist die amerikanische Polizei. Also Schuß! Schuß! und nochmals Schuß! – und wer ist drin?«
    »Wer denn?«
    »Joe.«
    Ich löffle meine Minestra.
    »Wer ist Joe?«
    »Ihr Mann.«
    »Von der Mulattin?«
    »Klar.«
    »Tonnerwetter! ...«
    »Ein Negro«, ergänze ich, »ein herzensguter Kerl, aber nicht, wenn man ihm die Frau entführt, versteht sich. So in der Dunkelheit, wenn man bloß das blendende Weiß seiner Zähne sieht – Prost!«
    »Und?«
    »Nämlich wir liebten uns.«
    »Die Mulattin und Sie?«
    »Ich fragte sie: Liebst du mich oder liebst du ihn? Sie verstand mich ganz genau. Und nickte. Und Schuß. Und kein Wort mehr von Joe.«
    »Tot?« fragt er.
    »Auf der Stelle.«
    »Tonnerwetter! ...«
    »Sie küßte mich«, sagte ich, »das ist mein Typ.«
    Darauf schöpft mir Knobel nochmals einen Teller voll Minestra; er ist aufmerksam wie

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