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Stiller

Stiller

Titel: Stiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Kellner gegenüber reichen Leuten. »Ich mag die Neger«, sage ich, »aber ich vertrage keine verheirateten Männer, auch wenn es Neger sind. Immer mit Rücksicht, das liegt mir nicht! Natürlich fuhren wir sofort über die Grenze –«
    »Nach Mexiko?«
    »Ohne Licht. Links der Rio Grande. Rechts der Vollmond.«
    »Das war Ihr dritter Mord?«
    »Ich glaube ...«
    Eigentlich geht es natürlich nicht, daß Knobel so lange in meiner Zelle verweilt; die anderen bekommen jedesmal ein kaltes Essen. Mein Wärter hat auch bereits die Eimer wieder an der Hand; ich weiß nicht, worauf er noch wartet.
    »Der Mensch ist ein Raubtier«, sage ich etwas allgemein, »das können Sie mir glauben, Knobel, und alles andere ist Schmus.« Aber er wartet immer noch.
    »Wenn ich so daran denke«, sage ich, »wie ich diese Florence zum erstenmal erblickte – damals in dem brennenden Sägewerk!«
    »Wer ist Florence?«
    »Meine Mulattin.«
    »Ach so.«
    »Das war ganz oben in Oregon«, sage ich, »als ich an der Küste fischen wollte. Denn ich hatte kein Geld, um etwas anderes zu essen, und ich war damals noch nicht so weit, daß ich stahl. Ich hielt mich damals noch für einen Ehrenmann! auch wenn ich tagelang nichts fischte, überhaupt nichts; denn es ist kein Kinderspiel, im Ozean zu fischen und so von der steilen Küste aus, wenn da die Brandung spritzt. Eine tückische Sache: Stundenlang steht man auf seinem Riff, trocken, hinauf und hinab geht der Gischt der Brandung, aber nie höher, nie über mein Riff, man fühlt sich sicher wie ein Bürger, und unversehens kommt eine Woge an, die höher ist, Gott weiß warum, vier Meter höher; wenn man es nicht zeitig bemerkt, wenn man sie nicht draußen schon sieht, die Woge, wie sie das Riff mit den Seehunden überschäumt, dann ist man versoffen, Ehrenmann hin, Ehrenmann her, in den Felsen zerschmettert, eine treibende Leiche, die nie identifiziert wird ... Es war ein wolkenloser Mittag, wie ich so stand, taubvon der Brandung, aber plötzlich sehe ich, wie es raucht über der Küste hinter mir, ein Rauch, mein Guter, daß es wie Sonnenfinsternis aussieht. Das kann nur das große Sägewerk sein, denke ich gleich, in dieser einsamen Gegend. Sie müssen sich das vorstellen: zwanzig Meilen im Umkreis kein einziges Haus, Felsen und Schafe, nichts weiter, und ein Drahtseil, womit sie die Stämme aus den wilden Wäldern herunterlassen, und wie ich auf den Hügel keuche, der Himmel ist voll fliegender Funken, so etwas von Feuersbrunst habe ich noch nicht gesehen, und wie es prasselt, von Feuerwehr natürlich keine Spur, nur die Weiber stehen umher und heulen, beißen sich die Fingernägel und beten zu Gott, daß er aufhöre mit seinem Wind, kein Wasser zum Löschen, und es ist Sonntag, die Männer hocken in einem fernen Ort und spielen Kegel, und hier flattert und knattert es in der Luft wie purpurne Fahnen, ein herrlicher Anblick, Flammen wehen aus allen Dächern, es ist nichts zu machen, draußen liegt noch ein ganzer Ozean voll Wind, und wie er so hineinbläst in die riesengroßen Stapel von trockenem Holz, gibt es eine Hitze, nicht auszuhalten auf hundert Schritte und mitten drin steht noch ein Tank voll Benzin.«
    »Tonnerwetter!«
    »Ich fragte sie, ob sie wohl wahnsinnig wäre, jeden Augenblick konnte doch der Tank in die Luft gehen, aber trotzdem rannte sie in ihre Hütte –«
    »Wer?«
    »Mitten in den sprühenden Qualm und Rauch«, sage ich, »die Mulattin.«
    »Tonnerwetter.«
    »Und ich – ihr nach!«
    »Klar.«
    »Wieso klar?« sage ich, »es war der vollendete Wahnsinn, aber plötzlich dachte ich, vielleicht will sie ein Kind retten – Ich werde das nie vergessen, mein Guter, wie ich in dieser Hütte stehe, draußen brennen schon einzelne Schindeln, ein alter Neger rennt wie ein Affe auf dem rauchenden Dach umher und versucht mit einem lächerlichen Gartenschlauch die lodernden Schindeln zu löschen, jede einzeln, denn weiter reicht der Strahl seines Wassers nicht, es ist ein Witz und drinnen ein Qualm, daß man wirklich zu ersticken glaubt. Hallo? schreie ich: Hallo? Und da steht sie nun, reglos und heulend, die Hände an den Hüften, tatlos, eine junge Mulattin, ich sage Ihnen, mein lieber Knobel, ein Geschöpf, schön wie ein Tier, achtzehn Jahre alt, ein Geschöpf –! Alles andere ist natürlich Plunder, nichtder Rettung wert, Matratzen und Geschirr. Ich habe eine Wut im Leibe, daß ich sie nur so packe und schüttle!«
    »Wieso?« fragt Knobel.
    »Ich solle den Eisschrank

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